Bis in alle Ewigkeit
natürlich nicht. Als sie im Auto saßen und auf die Straße fuhren, verkündete sie stolz: »Du kannst mir gratulieren. Man hat mir eine interessante Arbeit angeboten. Wahrscheinlich gehe ich demnächst für ein Jahr nach Deutschland.«
»Nach Deutschland?« Die Stimme ihrer Mutter klang irgendwie seltsam. »Wieso ausgerechnet dorthin?«
Sofja erzählte von dem Projekt, von »Biologie morgen«. Hin und wieder gab Nolik Kommentare dazu ab. Ihre Mutter hörte schweigend zu. Sofja konnte ihr Gesicht nicht sehen, sie schaute auf die Straße, spürte aber plötzlich, dass ihre Mutter sehr angespannt war, und weil ihre Anspannung sich verstärkte, verstummte Sofja schließlich.
»Freuen Sie sich denn nicht für Sofie, Vera Alexejewna?«, fragte Nolik erstaunt.
Sofjas Mutter antwortete nicht, sondern schaute schweigend aus dem Fenster. Als ein Shiguli vor ihnen zu heftig bremste, schimpfte sie übertrieben auf die Moskauer Straßen und redete von den Straßen in Sydney, und zwar so lange, bis sie Nolik nach Hause gebracht hatten und zu zweit im Auto saßen. Erst da sagte sie: »Vater hat mich angerufen, nach seiner Rückkehr aus Deutschland. Er hat mich gebeten, so schnell wie möglich zu kommen, er müsse etwas Wichtiges mit mir besprechen, und das ginge weder am Telefon noch per Brief. Ich habe sofort ein Ticket gebucht, für den Flug heute. Früher konnte ich einfach nicht, sonst hätte man mich entlassen. Mein Gott, wenn ich gewusst hätte! Nach deinem Anruf konnte ich das Ticket nicht mehr umtauschen und früher kommen. Während ich mit dir telefonierte, wurde mir schwindlig. Ich bin in meinem Arbeitszimmer gestürztund habe mir die Schläfe an einer Ecke des Tisches aufgeschlagen. Ich hatte eine leichte Gehirnerschütterung. Und am Kopf habe ich nun eine Narbe. Ich musste mir eine andere Frisur zulegen, aber der Arzt sagt, die Narbe werde bald verschwinden.«
Sie standen an einer Ampel. Im hellen Licht der Straßenlampen sah Sofja die Naht an der Schläfe ihrer Mutter.
»Hässlich, nicht?« Ihre Mutter holte einen Spiegel heraus und legte die Haarsträhne wieder darüber. »Gut, dass es nicht die Nase war, das Auge oder die Wange.«
»Warum hast du denn nichts davon gesagt, am Telefon?«, flüsterte Sofja verzweifelt. »Du hast das Gespräch so schnell beendet, ich dachte, du wärst gerade beschäftigt, und das sei dir wichtiger als Papa.«
»Vielen Dank. Dass du so über mich gedacht hast. Na schön, vergessen wir es. Du hast genug durchgemacht. Wann fliegst du denn nach Deutschland?«
»Das weiß ich nicht. Sie wollen mich anrufen. Aber vielleicht melden sie sich ja gar nicht. Das habe ich auch schon erlebt. Erst laden sie dich ein, machen Versprechungen, und dann rufen sie nie wieder an. Das ist natürlich ärgerlich, aber ich bin daran gewöhnt. Mama, erinnerst du dich vielleicht, als du mit Papa gesprochen hast, hat er da etwas von Herzproblemen gesagt?«
»Herzprobleme? Nein. Er hat versichert, er fühle sich ganz gesund, werde nur schnell müde. Er sagte etwas von Schwäche und Schwindelgefühl. Aber das sei eine Lappalie und werde schnell vergehen. Es ging um etwas ganz anderes. Das uns alle betrifft, vor allem aber dich.«
»Mich?!«
»Ja. Darum habe ich sofort einen Flug gebucht. Hat er dir denn nichts erzählt?«
»Nein. Er wollte es, das hat er mir an jenem letzten Abend versprochen. Aber dazu ist er nicht mehr gekommen.«
Moskau 1916
Wolodja und Agapkin betraten das Treppenhaus eines düsteren Mietshauses in der Chlebny-Gasse und stiegen in den vierten Stock hinauf. Ein mürrisches älteres Dienstmädchen öffnete die Tür, nahm ihnen wortlos die Mäntel ab und verschwand. In der Wohnung roch es so stark nach orientalischen Wohlgerüchen, dass Agapkin schwindlig wurde.
»Sie haben vergessen, die Galoschen auszuziehen«, sagte Wolodja. »Hier liegen überall Teppiche.«
»Ja, entschuldigen Sie.«
Im Salon lag tatsächlich ein weicher lila Teppich mit raffiniertem Muster. Anstelle elektrischer Lampen brannten unzählige Kerzen. Leuchter standen auf Regalen, niedrigen kleinen Tischen, auf dem Kaminsims und auf dem Fußboden. Die Möbel waren alt und aus dunklem Holz. Die Wände waren mit dunkelroter Seide ausgeschlagen, die Decke war in düsterem Blau gestrichen und mit großen Strasssteinen besetzt. Agapkin legte den Kopf in den Nacken und erkannte das Sternbild Schütze und den Großen Wagen. Die Strasse glitzerten und funkelten im flackernden Kerzenlicht.
Auf einem niedrigen breiten
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