Bis in alle Ewigkeit
Sofa lag in malerischer Pose Renata. Sie trug etwas Rotes aus Tüll, eine Art Tunika. Ihr aschblondes, kleingelocktes Haar wurde von einem roten Band zusammengehalten. Ihre Beine und Füße waren nackt. In einem Sessel daneben schlief zusammengerollt ein schwarzhaariges Fräulein in einem braunen Gymnasiastinnenkleid. Auf der Sessellehne saß ein junger Mann mit einem schütteren hellen Bärtchen, langen Haaren und unangenehmen hervorquellenden Schafsaugen. Er hielt ein dickes, sehr altes Buch in einem abgegriffenen braunen Umschlag in den Händen und las daraus vor, leise und monoton, als spreche er ein Totengebet. Agapkin konnte nichtheraushören, was für eine Sprache das war. Es klang wie Arabisch.
Renata nickte schweigend und legte den Finger auf die Lippen. Das schlafende Mädchen wachte nicht auf, und der Mann las weiter.
Wolodja küsste Renata die Hand und setzte sich neben sie aufs Sofa. Agapkin murmelte verlegen »Guten Abend« und blieb stehen. Renata deutete auf einen Sessel neben einem niedrigen kleinen Tisch. Auf dem Tisch stand außer einem Leuchter mit drei dicken Kerzen eine Messingschale, in der zahlreiche kleine Duftpyramiden rauchten. Der Rauch hüllte alles ein, drang nicht nur in die Lungen, sondern auch in die Haut. Agapkin verspürte keinen Schwindel mehr. Die Stimme des Vorlesers bannte ihn, und er ertappte sich bei dem Wunsch, die Augen zu schließen und sich im Rhythmus des seltsamen Textes zu wiegen. Er schüttelte den Kopf, kniff sich heimlich in die Wade und traf auf Renatas ruhigen, nachdenklichen Blick. Sie hatte ihn die ganze Zeit unverwandt beobachtet. In ihren erweiterten Pupillen spiegelten sich flackernde Kerzenflammen. Agapkin räusperte sich und fragte flüsternd: »Was ist das für eine Sprache?«
»Die älteste der Welt. Die Sprache des Hermes Trismegistos, die Sprache der Tabula Smaragdina . Versuchen Sie nicht, etwas zu verstehen, hören Sie es einfach an wie Musik.«
Inzwischen waren lautlos noch zwei Männer hereingekommen. Der eine war klein, schmächtig und weißblond, wie mit Mehl bestäubt, der andere ein großer, breitschultriger Schönling mit einem rassigen, aber unglaublich einfältigen Gesicht. Ein glattes Gesicht mit schwarzem Schnurrbart wie von der Reklame der parfümierten Papirossamarke »Luxus«. Alle außer dem Vorleser und dem schlafenden Mädchen tauschten wortlose Verbeugungen. Die Männer nahmen auf freien Sesseln Platz.
Agapkin kämpfte hartnäckig gegen eine seltsame süße Schläfrigkeit an. Seine Lider waren schwer, sein Körper gehorchte ihm nicht. Er ahnte bereits, dass den Räucherdüften ein beträchtlicher Anteil an Opiaten beigemengt war. Unversehens schlief er ein, sank in Finsternis.
Die Stimme des Vorlesers war längst verstummt, als Agapkin gedämpfte, ruhige Stimmen vernahm. Doch er konnte sich nicht rühren und nicht die Augen öffnen. Sie sprachen Russisch, aber ebenso unverständlich, als redeten sie in der Sprache des Hermes Trismegistos.
»Diejenigen, die das Geheimnis des Urstoffes entdeckt haben, sind längst tot. Die großen Meister haben ihren eigenen Tod inszeniert, um Uneingeweihte nicht in Versuchung zu führen.«
»Sie reden gewiss von einem natürlichen Tod, nicht von einem gewaltsamen? Wenn ich nicht irre, wurde Arnaldus de Villanova 1314 auf dem Feuer der Heiligen Inquisition verbrannt.«
»Sie irren. Dem Autodafé anheimgefallen und verbrannt sind nur seine Werke, und zwar nach seinem Tod, den er selbst inszeniert hatte. Es ist unbekannt, wie viele Werke von Meister Arnaldus erhalten blieben, es sind viele Fälschungen im Umlauf. Das ist das Werk von sogenannten Puffern , Hochstaplern auf dem Gebiet der Alchemie. Sie setzten unter allen möglichen Unsinn den Namen von Meister Arnaldus. Zuverlässig echt ist nur eine kleine Schrift des Meisters, die ein gewisser Poirier im 16. Jahrhundert entdeckt hat. Darin geht es um die Möglichkeit, das Leben auf mehrere hundert Jahre zu verlängern. Aber wie üblich bei den großen Meistern ist die Verjüngungsmethode recht allegorisch beschrieben. Mit ›Blut‹ ist zum Beispiel nicht menschliches Blut gemeint, nicht einmal das von Tieren, sondern die Seele von Metallen. Quecksilber ist keineswegs das, waswir darunter verstehen, was im Thermometer und in Quecksilbersalbe enthalten ist. Und auch Schwefel und Blei sind nur Symbole.«
»Aber Gold ist mit Sicherheit kein Symbol. Raimundus Lullus hat auf alchemistischem Weg für König Eduard III. so viel Gold hergestellt, dass
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