Bis in alle Ewigkeit
wem redest du?« Tamerlanow hob verwundert die Brauen.
»Na, komm schon! Das kleine Dorf neben dem Bohrturm, nur sieben Jurten. Der Alte kam auf einem Pferd angeritten und ist vor dir auf die Knie gesunken. Er sprach kein Wort Russisch. Hinterher hast du mir erzählt, er sei hundertacht Jahre alt, und mir eine junge Frau mit einem Baby gezeigt – das sei sein Sohn.«
»Und das hast du geglaubt?« Tamerlanow lachte fröhlich. »Na, na, mach nicht so ein Gesicht. Damals habe ich es auch geglaubt. Doch dann hat sich herausgestellt, dass der alte Gauner den Ausweis seines verstorbenen Großvaters benutzt. Ohne die Ölbohrung hätte ich nie von diesen Tricks erfahren. Um keine Steuern zu zahlen und die Jungs vor der Armee zu bewahren, tricksen meine Nomaden, lassen die Neugeborenen nichtregistrieren und vererben ihren Ausweis an ihre Kinder. In Wirklichkeit ist der alte Mann erst fünfzig. Die Miliz hat noch ein paar solche Uralte gefunden. He, Pfa, warum so traurig? Ärgere dich nicht. In meiner Steppe gibt es auch ohne den Alten eine Menge Interessantes.«
»Ja, natürlich.« Colt lächelte säuerlich.
Er musste dieses unsinnige Gespräch abbrechen.
Vielleicht werde ich ja verrückt, dachte Colt plötzlich. Warum bin ich hergekommen? Klar, wir sollten das Thema wechseln, ich habe ein paar geschäftliche Anliegen. Wir brauchen hier eine weitere Ölleitung. Die Japaner wollen sich beteiligen. Thornton, der amerikanische Medienmagnat, bittet um zwei, drei Zuchthengste aus dem Gestüt. Und ich muss ganz vorsichtig herausfinden, an wen Tamerlanow sein Gras verkauft. Es gab unangenehme Signale seitens des FSB. Wenn er mit Drogen auffliegt, könnte ich Probleme kriegen. Ich muss mich wenigstens absichern.
Colt trank seinen Kognak aus und redete vom Geschäftlichen, vorerst nur von der Erdölleitung und den Hengsten. Nach zwanzig Minuten waren sich er und der Gouverneur in allen Finanzfragen einig. Colt hatte sich beruhigt und entspannt, aß mit Genuss kaltes Kalbfleisch, köstlichen Stutenmilchkäse mit Weintrauben und Ananasscheiben. Dann trank er Kaffee und rauchte eine Zigarre.
»Ach ja, was ich dir noch erzählen wollte«, besann sich Tamerlanow, »neulich waren Archäologen aus Moskau bei mir. Zweihundert Kilometer von hier gibt es eine alte Tempelruine. Ich dachte, das wäre nur ein Haufen alter Steine, und wollte ihn schon mit Bulldozern wegräumen, um Weideplatz zu schaffen. Aber nun sagen die gelehrten Leute, diese Steine seien mindestens zweitausend Jahre alt. In sie sind Schriftzeichen eingemeißelt, die bisher niemand entziffern kann. Sehen fast so auswie ägyptische Hieroglyphen. Wollen wir hinfahren und uns das ansehen? Vielleicht haben sie da ja eine unbekannte alte Zivilisation ausgebuddelt? Wieso nicht? Warum soll meine Steppe nicht ein internationales Touristenzentrum werden? Wir bauen zwei, drei Museen, anständige Hotels, bringen die Straßen in Ordnung. Warum nicht?«
Moskau 1916
Ossjas Herz stand seit drei Minuten still. Kampfer, Insulin – alles nutzlos. Schwester Arina ging schluchzend und sich bekreuzigend hinaus. Potapenko schaute unverwandt auf den Sekundenzeiger. Tanja und Sweschnikow setzten wie aufgezogen künstliche Beatmung und Herzmassage fort. Die vierte Minute brach an. Der Professor richtete sich auf und wischte sich mit dem Ärmel die nasse Stirn ab.
»Tanja, hör auf. Er ist tot.«
Aber als hätte sie nichts gehört, presste sie nun selbst die Hände auf Ossjas Brustkorb.
Eine halbe Stunde zuvor war Danilow gegangen. Er musste zum Zug, und Tanja und er hatten sich rasch und linkisch verabschiedet. Sie konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten und war ganz mit dem sterbenden Kind beschäftigt.
Es wurde hell. Die Verwundeten wachten auf. Sweschnikow versuchte, Tanja mit Gewalt wegzuziehen. Der Feldscher Wassiljew rollte ein sperriges Gerät herein, einen elektrischen Herzstimulator.
»Das ist zwecklos«, sagte Potapenko, »er atmet seit vier Minuten nicht mehr. Das Gehirn ist tot.«
»Reden Sie mir nicht rein!«, schrie Tanja ihn an.
Nach dem dritten Stromstoß war ein schwacher Puls da,kurz darauf ein heiser geröchelter Seufzer. Tanja sank wie eine Stoffpuppe auf einen Stuhl neben dem Bett. Potapenko und Wassiljew gingen hinaus und schlossen leise die Tür.
»Geh nach Hause, schlafen«, sagte Sweschnikow.
»Ich gehe nirgendwohin.«
»Er liegt im Koma. Das kann dauern. Willst du die ganze Zeit hier sitzen?«
»Ja.«
»Spiel nicht verrückt, Tanja.«
»Mit mir ist
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