Bis in alle Ewigkeit
alles in Ordnung. Aber du bist verrückt, Papa.«
»Das ist ja ganz was Neues! Ich? Sei so gut und erklär mir bitte, wieso.«
»Du bist Arzt, aber du willst einem Kind nicht das Leben retten. Was ist das, wenn nicht verrückt?«
»Schämst du dich nicht?« Sweschnikow rückte einen Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber. »Sieh mir in die Augen. Schämst du dich nicht?«
Doch Tanja wandte verstockt den Blick ab. Ihre Hand presste Ossjas dürres Handgelenk. Sie war ebenso blass wie er. Ihr Zopf hatte sich längst gelöst, unter ihren Augen lagen dunkle Schatten.
»Hör mich bitte an«, sagte Sweschnikow leise und schob ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ossja ist keine Ratte und kein Meerschweinchen. Ich weiß noch nichts, verstehe noch nichts, das könnte ihn töten, und dann würde ich mich mein Leben lang als sein Mörder fühlen. Es reicht, Tanja. Lass ihn los. Quäl ihn und dich nicht.«
»Ich? Ihn quälen? Was redest du da, Papa?«
»Ich weiß, was ich sage. Ich habe das schon oft gesehen. Gegen alle Medizin, gegen jeden gesunden Menschenverstand bleibt ein Todgeweihter am Leben, allein aus Liebe, aus Mitleid mit denen, die bei ihm sind. Aber das ist unerträglich schwerund kann nicht endlos dauern. Lass seine Hand los. Fahren wir nach Hause, Tanja.«
»Und du wirst dich nicht als Mörder fühlen, wenn wir jetzt nach Hause fahren und ihn alleinlassen? Du wirst in Ruhe ein Bad nehmen, deinen Pfefferminztee mit Honig trinken und schlafen gehen?«
Sweschnikow sah ihr rasch in die verweinten, übernächtigten Augen.
»Ist dir klar, dass das ein Verstoß gegen die Gesetze ist? Das ist strafbar, Tanja. Ich habe einfach nicht das Recht, Tanja! Ich bin Arzt, kein Scharlatan.«
»Eben weil du Arzt bist, musst du ihm helfen!«
»Ich helfe ihm, wie ich kann.«
Sie schrien beide im Flüsterton, Sweschnikow fühlte immer wieder Ossjas Puls und drückte das Stethoskop auf seine Brust.
»Das wirst du dir nie verzeihen«, beharrte Tanja. »Du hattest eine Chance, sie war vielleicht vage, vielleicht verrückt, vielleicht gesetzwidrig, aber du hattest sie. Und du hast sie nicht genutzt. Und warum? Aus Feigheit, aus Kleinmut. Du scheust die Verantwortung, hast Angst um deinen guten Ruf.«
»Ja, Tanja, ich habe Angst, aber nicht vor dem, was du denkst. Ich habe kein Mittel, Ossja zu helfen. Alles, was ich habe, sind ein paar geglückte Versuche. Niemand darf ein Kind als Versuchsobjekt missbrauchen.«
»Papa, du lügst mir, dir selber und Ossja etwas vor! Papa, mein Lieber, ich flehe dich an, um Christi willen, rette ihn!« Tanja konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, ihre Schultern bebten, sie weinte leise und untröstlich.
Sweschnikow holte ein Fläschchen Baldrian, gab ein paar Tropfen in ein Glas und hielt es Tanja an die Lippen. Sie trank fügsam, ohne das Gesicht zu verziehen. Er wischte ihr die Tränen ab. Sie schien sich ein wenig zu beruhigen.
»Gut, Papa. Machen wir es anders. Du erklärst mir, was getan werden muss, und dann tue ich es selbst. Du musst nicht einmal dabei sein. Du hast doch gesagt, es braucht keine Trepanation, keine komplizierte Operation. Nur eine intravenöse Injektion, ja?«
»Eine Injektion, ja. Aber sie ist aus Sicht der Medizin unzulässig, ja, tödlich.«
»Wie kann sie tödlich sein, wenn die Tiere leben und es ihnen bestens geht?«
»Unterbrich mich bitte nicht. Du flehst mich an, ich soll Ossja retten, aber hör dir erst einmal an, was das für eine Rettung ist. Es ist ein Gehirnparasit.«
»Du meinst, ein ganz gewöhnlicher Wurm?«
»Ich habe ihn den fünf besten Parasitologen in Moskau gezeigt. Niemand weiß, welcher Art dieses Geschöpf zuzuordnen ist. Ein sehr alter Wurm. In der Epiphyse der Spenderratte befanden sich Zysten, Eier des Parasiten. Ich habe sie erst später entdeckt, nach der Operation, bei der histologischen Untersuchung. In der Hirnrinde und im Blut der Spenderratte waren weder Zysten noch Würmer. Nur im Gewebe der Zirbeldrüse. Die Zysten vieler Parasiten können bekanntlich unendlich lange in Anabiose verharren. Die Zysten öffnen sich bei direktem Kontakt mit verschiedenen chemischen Substanzen, zum Beispiel mit Ethanol.«
»Du hast Grigori obduziert?«
»Nein. Ich habe ihn am Leben gelassen, um ihn zu beobachten. Er ist das erste gelungene Exemplar. Aber ich habe andere obduziert, bei denen ich die gleiche Operation vorgenommen hatte. Ich hatte ihnen kein Gewebe der Spenderratte implantiert, sondern ihnen den Parasiten in einer
Weitere Kostenlose Bücher