Bis in alle Ewigkeit
den Rauch durch die Nase aus und lachte leise.
»Fragen Sie mich noch, wo man ihn kaufen kann und was er kostet?«
»Nein, mir ist klar, dass das ein großes Geheimnis ist, das wird mir niemand beantworten, aber was meinen Sie, Jelena Alexejewna?«
»Ich denke, wir werden die vieltausendjährigen Schichten von Mythen nie durchdringen können. Wer es weiß, schweigt, und wer davon redet, weiß nichts. Das heißt, er lügt. In den meisten Fällen haben wir es entweder mit Lügen zu tun oder mit Allegorien, die nur der Wissende entschlüsseln kann.«
»Doch der Wissende schweigt.« Colt seufzte.
»Genau. Dass die Sonorch-Priester hundertfünfzig, zweihundert und mehr Jahre alt wurden, ist nur eine Legende. Doch in dieser Steppe sind bislang keine Gebeine von ihnen gefunden worden. Es ist bekannt, dass sie sich stark von den hiesigen Bewohnern unterschieden, allein deshalb, weil sie nicht der mongoliden Rasse angehörten, sondern der europäischen. Woher sie vor zweitausend Jahren kamen und warum und weshalb und wohin sie im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung verschwunden sind, weiß niemand. Ihre Sprache ähnelte dem Arabischen. Aus späteren Quellen geht hervor, dass sie Latein konnten. Doch auch die hiesigen Sprachen beherrschten sie perfekt. Wir können nur raten, glauben oder nicht glauben.«
»Hundertfünfzig, zweihundert, dreihundert Jahre«, murmelte Colt, »aber auch die enden doch irgendwann.«
»Alles endet irgendwann.« Dr. Orlik lächelte sanft und beinahe schuldbewusst. »Jedes Leben hat seine Zeit. Der alttestamentarische Methusalem lebte laut Genesis neunhundertneunundsechzig Jahre. Er war ein direkter Nachfahre von Adams und Evas Sohn Seth und der Großvater von Noah.«
»Nun, das sind Mythen, Legenden«, bemerkte der Gouverneur. »Aber gibt es auch irgendetwas Reales?«
»Reales? Ich weiß nicht. In den Gräbern einiger mittelalterlicher Alchemisten in Frankreich und Deutschland wurden keine Gebeine gefunden, in den Särgen lagen nur Baumstämme in den Kleidern der Toten. Bis heute kann niemand genau sagen, wann der Graf von Saint Germain geboren und gestorben ist, sein Grab ist unauffindbar. Die Archäologie sagt uns, dass die durchschnittliche Lebenserwartung im alten Ägypten sehr gering war: dreißig, vierzig Jahre. Das beurteilen wir anhand von Grabstätten. Nur über die Toten können wir etwas sagen. Die Lebenden hinterlassen keine Spuren in der Erde oder im Stein. Die Alchemisten glaubten, der Tod sei eine Folge der Unvollkommenheit der menschlichen Natur, und versuchten, durch komplizierte chemische Umwandlungen eine gewisse besondere Substanz zu erzeugen, die dem lebendigen Organismus fehlt, um unsterblich zu werden. Etwa das Gleiche beschäftigt auch heutige Biologen, wenn auch inzwischen auf einem anderen Niveau.«
»Aber man könnte doch mit Hilfe der geballten Macht der modernen Wissenschaft herausfinden, ob ja oder nein?«, rief Colt unversehens laut und biss sich auf die Lippen.
Seine Gesprächspartner starrten ihn schweigend an. Die schmalen Augen des Gouverneurs funkelten belustigt. Die grauen Augen von Dr. Jelena Orlik spiegelten ruhige Traurigkeit und Mitleid. Sie sprach als Erste.
»Die Wissenschaft kann natürlich vieles. Durch Spektralanalysen eines Hunderte von Lichtjahren entfernten Sterns lässt sich dessen chemische Zusammensetzung exakt bestimmen. Doch nach welcher Technologie die ägyptischen Pyramiden errichtet wurden, ist bis heute unbekannt. Die Gebeine der Frauen und Kinder hier in diesem Boden schweigen. Vielleicht wird irgendwer die Hieroglyphen auf diesen Steinen entziffern und in eine moderne Sprache übersetzen können. Doch derSinn des Geschriebenen wird ein Rätsel bleiben. In der europäischen Mythologie sind Vampire unsterblich, in der russischen das Ungeheuer Kaschtschej. Im Bewusstsein des Volkes ist die Unsterblichkeit des Leibes ein Fluch, erkauft durch grausame Untaten. Der Leib kann nur unsterblich werden, wenn man die Seele tötet, indem man sie verkauft. Das ist der Preis. König Salomo hat auf das ewige Leben verzichtet. Das war seine Entscheidung. Er wollte nicht jene begraben, die er liebte. Aber auch das ist nur ein weiterer schöner Mythos. Salomo hatte siebenhundert Frauen und dreihundert Geliebte. So stark lieben, um wegen dieser Liebe auf die Unsterblichkeit zu verzichten, kann man nur einen einzigen Menschen.«
»Sulamith. Das Hohelied«, murmelte Colt leise.
In Jelenas Tasche klingelte das Telefon, sie entschuldigte sich
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