Bis in alle Ewigkeit
letzte Zeit, vor der Reise und danach, hat er sich oft mit irgendwem getroffen. Am Abend vor seinem Tod war er in ein Restaurant eingeladen worden, er hat mich am späten Abend angerufen, ich sollte ihn mit dem Auto abholen. Er wartete draußen vorm Restaurant auf mich. Am nächsten Morgen wollte er mir etwas Wichtiges erzählen. Doch in der Nacht ist er gestorben. Die Ärzte sprachen von akutem Herzversagen.« Sofja sprach sehrschnell und verstand selbst nicht, warum sie Agapkin das alles erzählte.
Der alte Mann schaute an ihr vorbei, sein Blick war angespannt und erschrocken, als sähe er hinter ihr jemanden stehen. Sein Kinn zitterte noch immer, seine Lippen bewegten sich, murmelten etwas, und plötzlich hörte Sofja ihn deutlich sagen: »Er ist tot. Also haben sie ihn nicht überreden können.«
»Was? Wer konnte wen nicht überreden?« Sofja spürte eine Kälte im Bauch, als hätte sie das unselige Eis doch gegessen, und nicht nur eine Portion, sondern gleich zehn.
Agapkin schwieg. Seine Augen waren nun rot und nass.
»Fjodor Fjodorowitsch, ist Ihnen nicht gut?«
Er antwortete nicht und regte sich nicht. Sie sprach ihn noch einmal an, stand auf und berührte seine Schulter. Er schien aufzuwachen, und sein Blick wirkte wieder klar.
»Gehen Sie. Ich bin erschöpft.« Mit zitternden Händen legte er die Fotos in den Umschlag zurück und reichte ihn ihr.
»Sie müssen es mir erklären. So geht das nicht. Ich kann jetzt nicht gehen, bitte, schweigen Sie nicht!«
Doch er schien sie nicht mehr zu hören, seine Finger nestelten an dem karierten Plaid herum. Der Pudel Adam wachte auf und jaulte leise und klagend.
»Ich kann nicht. Verzeihen Sie mir. Sie werden alles selbst erfahren, in Deutschland. Trauen Sie denen nicht.« Seine Stimme klirrte und schnarrte wie eine Maschine, die jeden Moment kaputtgehen würde. »Die werden Sie bearbeiten, sie bearbeiten Sie jetzt schon. Trauen Sie ihnen nicht! Denken Sie selbst nach. Nur Sie allein können entscheiden, nur Sie.«
»Erklären Sie mir, wovon Sie reden! Wenn Sie mich warnen wollen …« Sofja verstummte mitten im Wort und drehte sich abrupt um.
Direkt hinter ihr stand der Kahlgeschorene.
»Geh jetzt, geh, du siehst doch, der Opa ist nicht bei sich«, sagte er und fasste Sofja am Arm.
»Nein, warten Sie, wir sind noch nicht fertig.« Sofja riss sich los. »Fjodor Fjodorowitsch, woher wissen Sie, dass ich nach Deutschland fliege? Was wissen Sie über meinen Vater? Wem soll ich nicht trauen?«
Sie war schrecklich nervös, ihr Mund war wie ausgetrocknet, ihr Herz pochte, das Atmen fiel ihr schwer, und sie verspürte ein heftiges Stechen im Ohr. Der Kahlgeschorene zog sie zur Tür. Adam trottete leise jaulend hinterher.
»Verzeihen Sie mir, und richten Sie auch ihm aus, er möge mir verzeihen, seien Sie vorsichtig, ich bitte Sie.« Die Stimme des alten Mannes erreichte sie wie ein Echo, und ihr schien, als wiederholte er mehrmals: Dmitri. Sie wollte zurück zu ihm, doch der Kahlgeschorene hatte die Zimmertür bereits geschlossen und versperrte sie mit seinem mächtigen Rücken.
Weiter hörte Sofja kein Wort, nur der Pudel Adam kläffte noch einmal und leckte ihr das Gesicht, als sie sich bückte, um ihre Stiefel anzuziehen.
Moskau 1916
Sweschnikows Schwester Natascha war mit einem hohen Ministerialbeamten verheiratet, Graf Iwan Jewgenjewitsch Rutter. Vor drei Jahren war ein Unglück geschehen. Ihr einziger Sohn, ein verschlossener, kränklicher Junge, hatte sich erschossen. Er war gerade achtzehn geworden. Er las Nietzsche, schrieb verworrene düstere Gedichte in dekadentem Stil und war verliebt in eine Schauspielerin des Theaters von Jalta, die doppelt so alt war wie er. Eines Abends, zurück von einem ihrer Soloabende, ging er in das Arbeitszimmer seines Vaters, brach die Schublade auf, in der der Revolver lag, kritzelte einen Zettel: »Es gibt keineLiebe. Alles ist Lüge und Schmutz. Ich schäme mich, an der vulgären Farce mitzuwirken, die ihr Leben nennt!« und schoss sich ins Herz.
Seine Mutter ergraute binnen drei Tagen, bekam einen schweren Nervenzusammenbruch und war erst seit einem halben Jahr mehr oder weniger wiederhergestellt.
Ende Juli schrieb sie ihrem Bruder einen Brief, in dem sie darum bat, Ossja bei sich behalten zu dürfen. Die Seeluft sei heilsam für den Jungen. Was immer ihm früher gefehlt habe, jetzt sei er vollkommen gesund.
»Die Tante möchte Ossja adoptieren«, schrieb Tanja, »und er hat anscheinend auch nichts dagegen,
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