Bis in den Tod hinein
allen Experten kaum einen anderen als Sie hinzuziehen konnte. Sie sehen also, der Zufall ist ein scheuer Vogel, den man nur sehr selten singen hört.«
Bartholy lehnte sich zurück und sah Boesherz kritisch, wenn auch mit einem Unterton von Zustimmung an.
» Sie unterstellen also, dass ich nur zu dem Fall hinzugezogen worden bin, um die Aufmerksamkeit der Medien auf mich zu lenken und die Öffentlichkeit mit populistischen Mutmachparolen ruhigzustellen?«
» Ich war jedenfalls wenig begeistert davon, Sie im Team zu haben.«
» Das ist mir nicht entgangen…«
» Sie sehen also, auch ein Mann, der immer alles sieht und immer alles weiß, kann sich gelegentlich täuschen.« Jetzt hob Boesherz sein Glas und stieß mit Bartholy an. » Und wenn Jack ein vom Vater großgezogener studierter Taxifahrer in einem Besserwisserberuf ist, dann nehme ich mit dem tiefsten Ausdruck des Bedauerns alles wieder zurück, was ich jemals über Sie gesagt oder gedacht habe.«
In diesem Augenblick trat ein junger Mann aus Sri Lanka an den Tisch und bot Boesherz an, seiner Begleitung eine langstielige Rose zu schenken. Bartholy strich sich durch ihr Haar, wie sie es schon in Severins Wohnung getan hatte, und sah den Kommissar dabei herausfordernd an. Dieser zögerte nicht, griff nach seiner Brieftasche und zog einen Fünfeuroschein heraus.
» Sehen Sie es als eine Art Vorschuss an«, sagte er freundlich, als er Bartholy die Blume überreichte. » Sollten Sie sich in den kommenden Tagen bewähren, habe ich vielleicht bald einen ganzen Strauß davon für Sie.«
» Falls ich den dann überhaupt haben möchte«, antwortete Linda, nahm die Blume, roch daran, legte sie auf den Tisch und hob dann ein weiteres Mal ihr Glas. » Auf gute Zusammenarbeit!«
Boesherz war mit dem Trinkspruch sichtlich unzufrieden.
» Ist das nicht ein bisschen zu trocken? Wie wäre es mit: ›Darauf, dass alles so endet, wie wir es uns wünschen‹?«
Bartholy nickte zustimmend, bevor sie noch einmal miteinander anstießen und sich dann die Speisekarte bringen ließen.
Sein Handy hatte Boesherz in seiner Manteltasche gelassen, sodass er es nicht bemerkte, als es plötzlich zu vibrieren begann.
42
» Er macht seine Sache sehr gut«, berichtete Schwester Cecilia in ruhigem, fast liebevollem Ton. » So einen Sohn hat nicht jeder.«
Die Pflegerin war jetzt ganz allein mit Anselms Vater. Das große Haus, das auch während Drexlers Abwesenheit auf dessen ausdrückliche Anweisung hin stets hell erleuchtet war, kam ihr mittlerweile längst nicht mehr so bedrohlich vor wie damals, als sie es zum ersten Mal betreten hatte.
Die Ärzte, so hatte man ihr bereits vor ihrem ersten Einsatz bei den Drexlers erklärt, hatten jede Hoffnung auf eine Besserung des Patienten aufgegeben. Fünf Tage lang war Paul nach seiner Einlieferung auf der Intensivstation betreut worden, und auch danach hatte er noch volle acht Wochen auf der Normalstation gelegen. Nachdem der zunächst erhoffte Fortschritt jedoch trotz aller Bemühungen nicht eingetreten war, hatte man den alten Herrn schließlich in die Obhut seines Sohnes übergeben, der vom Gericht auch sogleich als gesetzlicher Betreuer eingesetzt worden war.
Cecilia hatte das Haus der Drexlers bei ihrem ersten Besuch in einem Zustand vorgefunden, wie sie ihn in ihrer gesamten beruflichen Laufbahn noch nicht erlebt hatte. Die Verwandten von Schwerkranken waren durchaus in den weitaus meisten Fällen darum bemüht, ihren sterbenden Angehörigen eine angenehme, vertraute Umgebung zu schaffen. Sie sorgten sich meist liebevoll um die Patienten, auch wenn diese Cecilia nur allzu oft hinter vorgehaltener Hand anvertrauten, dass ihnen das gar nicht recht sei und sie oft viel lieber mit ihren Gedanken und Erinnerungen in Ruhe gelassen werden wollten.
Was sie aber bei den Drexlers vorgefunden hatte, war eine Art der Fürsorge, die sie in dieser Form noch nie zuvor erlebt hatte. Anstatt seinem Vater beispielsweise eine Musikanlage oder einen Fernseher mit dessen Lieblingsfilmen auf DVD ans Bett zu stellen, hatte Anselm nur Ordnung und Hygiene geschaffen. Hinzu kam, dass auch sein Verständnis für persönliche Zuwendung nicht von Emotionen, sondern von strikten Vorstellungen über klare Regeln angetrieben zu sein schien. So war es für Schwester Cecilia schnell offenkundig geworden, dass Anselm, indem er seinen Vater von Unordnung und hygienischen Nöten frei hielt, seiner Fürsorge in vollem Umfang nachzukommen glaubte. Das Gebiss des alten
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