Bis in den Tod hinein
einem Kampf kommen lassen, obwohl er Waffen bei sich hatte. Ich nehme an, er wollte diesen Kampf, zumindest unbewusst. Er wollte endlich seine Wut gegen einen Menschen entladen, den er persönlich gekannt und gehasst hat.«
» Ich verstehe«, erkannte Beer und sah die buchstäblich zu Tode geprügelte Frau mit den brutalen Würgemalen am Hals mitleidsvoll an. » Bei den anderen ist er kalt und distanziert vorgegangen. Bei ihr war es Leidenschaft.«
» Nicht auszuschließen, dass sie sogar der Auslöser für die ganze Mordserie war. Nur eines verstehe ich noch nicht: Wie er es geschafft hat, uns mit diesem Zeitungsbericht auf ihre Spur zu führen. Ich meine, er wollte doch ganz offensichtlich, dass wir den Artikel entdecken, hier auftauchen und sein letztes Opfer finden.«
Beer war in diesem Punkt weniger unschlüssig.
» Wenn sie Jack persönlich gekannt hat, dann kann er an ihren Rechner gekommen sein und die Änderung unbemerkt vorgenommen haben«, spekulierte sie. » Er wollte uns also nicht auf seine Spur führen, sondern auf die seines letzten Opfers. Wir sollten sie ja schließlich finden.«
» Ich glaube nicht, dass sie schon sein letztes Opfer war«, brachte sich jetzt einer der Kollegen ein, die zwischenzeitlich den Tatort in Augenschein genommen hatten. Dann deutete er auf etwas, das Beer und Bartholy bislang noch gar nicht aufgefallen war.
» Das gibt’s doch nicht«, stießen beide Frauen fast zeitgleich aus.
Um ihren Hals trug Sonja Wendorff eine Kette, die so gut wie gar nicht mit Blut beschmutzt war. Der Anhänger, der offensichtlich erst nach dem Kampf drapiert worden war, stellte das Symbol für die Unendlichkeit dar. Doch so, wie er offenbar von Jack hinterlassen worden war, schien er etwas anderes ausdrücken zu wollen.
» Eine Acht. Verdammt, Jack ist noch gar nicht mit seiner Liste fertig. Es fehlt immer noch mindestens die Eins«, hauchte Linda, und kaum dass sie damit ihre eigene Fehleinschätzung eingestanden hatte, kam ihr auch schon etwas anderes, wesentlich Bedeutsameres in den Sinn: » Wo, verdammt noch mal, ist Severin?«
57
Es war absolut finster. So finster– Boesherz war vollkommen orientierungslos. Er wusste, dass er ohnmächtig gewesen war, aber nicht, für wie lange. Auch hatte er keine Vorstellung davon, wo er sich befand. Es war kalt, seine Pistole steckte nicht mehr in ihrem Holster, dafür trug er wieder seinen wärmenden Kaschmirmantel, den er im Haus abgelegt hatte. Plötzlich vernahm der Kommissar ein Geräusch, das er zu seinem Unbehagen auch unverkennbar zuordnen konnte. Jemand schaufelte Erde auf das, worin er lag. Was immer es auch sein mochte.
» Wie fühlt es sich an, tot zu sein?«, rief Anselm jetzt mit hinterlistigem Unterton aus einer offenbar höher liegenden Position. » Ist es ein schönes Gefühl?«
Unmittelbar nachdem Boesherz Anzeichen dafür gezeigt hatte, dass er wieder zu sich kommen würde, hatte Anselm den Deckel verschlossen und damit begonnen, langsam und mit Bedacht Erde auf die Kiste zu schaufeln.
» Es hält sich in Grenzen«, antwortete der Kommissar.
Auch, um Drexler anzuzeigen, dass er wieder bei vollem Bewusstsein war.
» Wer sich nicht an die Regeln hält, der landet in einer Kiste«, erklärte Anselm, legte noch eine Schaufel Erde nach und begann plötzlich, mit bizarr veränderter Stimme ein Lied zu singen, das Boesherz noch nie gehört hatte.
Das Kind im Grab in seinem Sarg
ganz unten in der Erde lag.
Es hatte Furcht und weinte sehr,
doch all sein Klagen half nichts mehr!
» Gegen welche Regel habe ich denn verstoßen?«, fragte Severin angespannt, während die Luft um ihn herum stickiger wurde und immer mehr feiner Sand durch die Spalten im Holz auf ihn niederrieselte. » Es sind ja nur noch die Eins und die Acht übrig.«
» Die Acht nicht mehr«, antwortete Anselm. » Sie sind nicht auf dem neuesten Stand!«
» Nummer acht: Befolge die Regeln«, zitierte Boesherz daraufhin aus dem Gedächtnis. » Dann geht es also nur noch um die Eins.«
Anselm antwortete nicht darauf. Stattdessen trug er scheinbar zusammenhanglos ein Gedicht vor.
» Sollst du nicht, Junge, riskieren den Leib,
solang’ es dir gut geht! Dein Kind und dein Weib
zu nähren ist das, was du sollst in der Welt.
Droht dir keine Gefahr? Fehlt dir Brot nicht, noch Geld?
Dann danke dem Herrn, dass er Acht auf dich gibt!
Du meinst, das sei fade? Dann blick, was man sieht:
Der Gereon war ein erfolgreicher Mann.
Es fehlte ihm nichts, und man sah es ihm
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