Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis in den Tod hinein

Bis in den Tod hinein

Titel: Bis in den Tod hinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincent Kliesch
Vom Netzwerk:
hatte.
    » Wusste er von Ihrer Mission?«, wollte Boesherz wissen, der sich darüber im Klaren war, dass Paul Drexler den Anblick der grauenvollen Bilder von entstellten Leichen in diesem Augenblick wehrlos über sich ergehen lassen musste.
    » Schon«, gestand Anselm verlegen. » Es sollte ja eigentlich eine Überraschung werden, aber ich habe es nicht ausgehalten und ihm doch schon vorher davon erzählt«, berichtete er, bevor er sich vorübergehend von seiner Position weg bewegte, um das Buch an Severin Boesherz weiterzureichen, der sofort ungläubig darin zu blättern begann. » Einmal ist ihm sogar eine Träne aus dem Auge gelaufen. Ich glaube, dass er sehr stolz auf mich ist.«
    » Welcher Vater wäre das nicht?«, kommentierte Boesherz daraufhin das Buch, das so abstoßend morbide und gruselig war, dass es selbst den erfahrenen Kriminalisten beeindruckte.
    » Tun Sie doch nicht so scheinheilig«, rief Anselm, brüskiert über den Sarkasmus seines Gastes, aus. » Als ob Ihnen auch nur eines der Opfer leidgetan hätte. Und selbst wenn– was hätten die paar Menschen denn mit ihren verdorbenen Leben Besseres erreichen können, als Teil dieses gewaltigen Werkes zu werden? Das Buch, das Sie gerade in Ihren Händen halten, wird eines Tages die ganze Menschheit auf einen besseren Weg führen!«
    » Hätte es nicht auch gereicht, die Menschheit auf einen besseren Weg zu führen, indem Sie einfach nur Ihre Gedichte aufschreiben?«
    Anselm wischte sich den Schweiß von der Stirn und lächelte dabei geringschätzig.
    » Wissen Sie, leider war mir nie das Wertvollste vergönnt, das ein Mann in seinem Leben besitzen kann: ein Sohn«, holte er aus. » Irgendwann habe ich deswegen beschlossen, einfach alle Söhne dieser Welt zu meinen zu machen. Indem ich sie mit einem einzigen kurzen, verständlichen Buch mehr lehre, als es ihre leiblichen Väter jemals könnten.« Er deutete auf das Album, das noch immer in Boesherz’ Händen lag. » Nur die Texte allein– wen hätten die schon interessiert in Zeiten allgemeiner Verrohung? Aber indem ich sie in die Tat umgesetzt habe, wird jetzt die ganze Welt davon erfahren! Und die Menschen werden sich mit Schaudern davon abwenden, wie sie es immer getan haben, wenn es hart geworden ist. Sie werden wegsehen, Empörung heucheln und die Drecksarbeit weiter von den wenigen Tapferen machen lassen, die bereit sind, für ihre Ideale notfalls auch mit ihrem eigenen Blut einzustehen.«
    » Kommen Sie endlich zum Punkt. Meine Kollegen treffen bestimmt bald ein. Dann kann ich nichts mehr für Sie tun.«
    Anselm ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Viel zu lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet.
    » Man kann das Gute nicht schaffen, wenn man nicht bereit ist, das Böse zu beseitigen. Es zu entfernen wie einen bösartigen Tumor. Und, ja, das tut weh! Glauben Sie nicht, dass ich Spaß an dem hatte, was ich getan habe. Ich habe diesen Krieg nicht begonnen, aber ich bin bereit, ihn zu kämpfen! Bereit dazu, meinen Teil beizutragen, um alle Söhne dieser Welt in eine bessere Zukunft zu führen. Egal wie lange es dauert. Sicher, am Anfang werden meine Taten nur eine Nachricht sein, etwas, worüber man im Supermarkt spricht. Erst später, wenn die Jahre ins Land gezogen sind, werden sie dann zu einem Gerücht werden. Zu etwas, von dem man nur noch glaubt, dass es wahr sei. Die Menschen werden damit beginnen, ihren Erzählungen Eigenes hinzuzufügen, und diejenigen, die mein Werk noch persönlich erlebt haben, werden langsam aussterben. Aber ihre Kinder und Enkel werden meine Geschichten weitererzählen, sie wachsen lassen. Und dadurch wird die Nachricht, die ich heute geschaffen habe, eines schönen Tages zu einem Märchen geworden sein. Zu einer gruseligen Erzählung, die Großeltern ihren Enkeln vor dem Einschlafen vorlesen. Das Buch, das Sie in Händen halten, werden sie den Kleinen vortragen wie eine dramatische Gutenachtgeschichte. Und dann ist das, was heute hier begonnen hat, das Größte, zu dem ein paar Kinderverse überhaupt nur werden können: eine Legende! Ein fester Bestandteil des Kulturguts einer ganzen Gesellschaft. Wie das Rotkäppchen, das vom Wolf gefressen wird, das kleine Paulinchen, das verbrennt, weil es mit dem Feuer gespielt hat, oder die böse Stiefmutter, die in glühenden Schuhen tanzen muss.«
    Boesherz hatte genug gehört.
    » Also gut«, sagte er, legte das Album neben sich auf den Boden und stand aus dem Sessel auf. » Wenn mir schon die Ehre zuteilwird, der

Weitere Kostenlose Bücher