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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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Vertragsunterzeichnung. Gefasst war ich auf einen dominanten Menschen mit Hang zur Arroganz und Großkotzigkeit. Ich erlebte eher das Gegenteil. Als er sich bei unserem ersten Treffen bei Paolino , seinem Lieblings-Italiener auf einem Ponton auf der Alster, zehn Minuten verspätete, rief mich seine Sekretärin an und entschuldigte ihn.

    Die ersten Monate meiner Mitarbeit entzaubern den Mythos BILD . Die Redakteure kochen alle nur mit Wasser. Die Genialität der so simplen wie überzeugenden Ideen, mit denen BILD Furore macht, ist einigen wenigen zu verdanken. Alles drum rum ist viel normaler und banaler, als ich geglaubt hatte.
    Dennoch, die Momente in denen es rundläuft, machen mich nach wie vor high. Tage, an denen wir unangefochten vorn liegen. Die sind nicht selten, wir haben oft einen schnurgeraden Lauf. Immer wieder gelingen uns außergewöhnliche Geschichten, regelmäßig bekommen wir exklusive Informationen. Sogar in der politischen Berichterstattung, eigentlich nicht Paradedisziplin der BILD , kochen wir die Konkurrenz ab und an ab. Unsere Polizeiredaktion ist die beste der Stadt, nur selten laufen wir Themen hinterher.
    Es gibt Augenblicke, in denen stoße ich am Schreibtisch die Becker-Faust in die Luft und genieße den Adrenalinstoß, der mir durch die Adern zischt. Die Freude über eine Exklusivnachricht zu den Sparplänen des Senats oder die unglaublichen Bilder eines öffentlichen Beziehungsstreits mit Handgreiflichkeiten eines sehr prominenten Paars sind Momente, die mich faszinieren. Es sind die Erfolge, für die sich der ganze Aufwand, der Einsatz, die Entbehrungen zu lohnen scheinen.
    In solchen Momenten kann ich mir nicht vorstellen, dass mir ein anderer Job diese Glücksgefühle bescheren könnte. Vielleicht ginge es mir als Fußballprofi ähnlich: Vor sechzigtausend Fans das entscheidende Tor zu schießen, würde mich wahrscheinlich noch mehr berauschen. Aber ich bin kein Fußballer.
    Als Reporter fühlten sich Erfolge noch stärker an. Alles war neuer, ich war jünger. Die Artikel, die ich schrieb, kamen von mir. Heute liefere ich bloß die Idee zu manchem Thema. Das ist etwas anderes. Als Reporter war ich Spieler, als Chef bin ich Trainer. Über ein Tor freu ich mich als Trainer, als Spieler bin ich ausgeflippt.
    Es sind exklusive Geschichten, die mich beflügeln. Es sind aber auch zwischenmenschliche Situationen. Steckt ein Mitarbeiter in der Krise und hat den Mut, mit mir darüber zu sprechen, ist das ein gutes Gefühl. Er bringt mir Vertrauen entgegen, die Hoffnung, ich könne ihm helfen. Wir diskutieren über seine Lage, überlegen uns einen Weg aus dem Loch, in dem er steckt. Es macht mich glücklich, den Mitarbeiter dabei zu beobachten, wie er zurück zu seiner Stärke findet.
    Ich bin von meinen Chefs immer gefördert worden. Schwierige Situationen, neue Themen waren es, an denen ich als Volontär gewachsen bin. Ich musste mich an etwas herantrauen, bei dem das Risiko hoch war, zu scheitern. Meine Fehler waren Lehren. Die Erfolge waren gut fürs Selbstbewusstsein – gewachsen bin ich an den Rückschlägen.

[zur Inhaltsübersicht]
    Alltagsgalopp
    Fast jeden Tag
    Die Euphorie meines Jobwechsels überdeckt, in welcher psychischen und physischen Verfassung ich mich eigentlich befinde. Schon nach wenigen Monaten gibt mein Körper wieder Signale – der Rücken schmerzt, mein Magen rebelliert, das Herz rast. Aber das Tempo, der Krach der Arbeit übertönen das alles, sie fordern meine ganze Aufmerksamkeit, lassen keine Selbstbeschau zu. Alle Energie geht in den Job. Ich bin wieder drin in der Mühle, so wie vorher. Da bleibt nicht viel fürs Restleben. Eigentlich noch weniger als bisher.
    Fast alle Tage beginnen gleich: Noch im Bett checke ich meine Mails, überfliege die Online-Ausgaben der großen Zeitungen. Morgens aufstehen, kein Frühstück, ein Glas Wasser, zwei Baldrian (gegen die Unruhe), eine Aspirin (gegen das Brummen im Kopf), das muss reichen. Ab ins Auto, drei Zeitungen lese ich beim Fahren. Das geht am besten, wenn sie auf dem Beifahrersitz liegen. Im Radio höre ich zwischen zehn vor und Viertel nach acht die Nachrichten dreier lokaler Sender. Im Stop-and-go-Geschleiche google ich Stichworte für Themen, die mir durch den Kopf schießen, ich schreibe Mails und beantworte die ersten. Bis zur Tiefgarage des Verlags fühlt sich alles okay an. Stress? Ja. Normaler Level, nichts Schlimmes.
    Schlimm wird es, wenn der dunkle Garagenschlund unten im Verlag, der einem Betonmonster

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