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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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gleicht, meinen Dienst-BMW verschluckt. Dann wird es Nacht in mir. Jetzt beginnt sich die Mühle zu drehen, die Mahlsteine bewegen sich auf mich zu, die Schlinge um den Hals fängt an zu würgen.
    Hier kommste erst in dreizehn Stunden wieder raus.
    Ich will nichts mehr spüren, die Schraubzwinge ums Herz soll loslassen. Sie bleibt und krallt sich noch fester. Da krampft was in der Brust. Oder sticht es? Das fühlt sich nicht gut an.
    Egal. Nicht reinsteigern. Funktionieren jetzt.
    Drei Minuten später: Aufzug. Die erste Menschennähe des Tages. Die ekligste. Ich hasse es, spießige Männer-Rucksäcke in die Seite gedrückt zu bekommen, ich hasse Aufzug-Sprech, ich hasse es, stinkende Ei-Brötchen vors Gesicht gehalten zu bekommen, ich hasse die Schuppen des schmierigen Typen aus dem fünften Stock sehen zu müssen, ich hasse Lift-Quetscher. Ich steige in U ein. Ich muss im 13. raus. Am meisten hasse ich die zwei Quatsch-Elsen, die im ersten Stock ein- und im zweiten wieder aussteigen.
    Dreimal bin ich zu Fuß gegangen. Vierzehn Etagen. Oben angekommen, war mein hellblaues Hemd unterm Sakko nass. Sehr unpraktisch morgens um halb neun. Seitdem wieder Aufzug-Horror.
    Im Büro bin ich auf meiner Etage der Erste. Ich falle in meinen Ledersessel und bin gestresst. Durchatmen.
    Komm runter.
    Dann lese ich, was ich im Auto noch nicht geschafft habe. Sieben Zeitungen. Erst die Hamburger, dann die überregionalen, davon erst die Boulevards, danach Süddeutsche , FAZ , Welt . Maximal dreißig Minuten. Zwischendrin immer wieder: Mails, Online-News, Agenturmeldungen. Mein größter Horror um diese Zeit: ein Anruf aus Berlin. Will der Chefredakteur, den alle nur «den Herausgeber» nennen, mich morgens sprechen, ist was schiefgegangen oder er hat einen dringenden Extrawunsch. Das kommt alle zwei Wochen vor, das ist im Vergleich zu anderen Ressorts ziemlich selten. Manchmal höre ich schon am Klingeln, dass er es ist. Ich erkenne das Chefklingeln trotz angelehnter Bürotür draußen im Sekretariat. Dorthin ist mein Telefon immer umgeleitet. Ich will nicht irgend so einen Blödmann, der meine Durchwahl rausgefunden hat, direkt am Apparat haben und mir ein Ohr abkauen lassen mit irgendeinem Mist.
    Kommt tatsächlich ein Anruf, ist es fast immer okay. Der Herausgeber ist sachlich, klar, oft freundlich. Es ist nur dieser Gedanke, der Grund des Anrufs könnte ein Fehler von mir sein. Die Krux dabei: Diese böse Vision nährt keine schlechte Erfahrung. Ich werfe ihr meine Selbstzweifel zum Fraß vor. Die sind ihr Leibgericht.
    Die Angst vor dem Chefklingeln meines umgeleiteten Telefons ist keine reine Kopfsache. Ich spüre sie körperlich. Mein Blutdruck klettert, mein Herz drückt, mein Magen krampft, Arme und Beine schmerzen, mein Atmen ist flach. Ich fühle mich schwach, ich glaube, keine Stimme mehr zu haben. Kommt jemand rein, muss ich kurze Sätze sprechen, für mehr reicht die Luft nicht. In meinem Kopf steht dicke Nebelsuppe, da ist keine Struktur, da ist alles und nichts. Ich würde jetzt gern weg sein, ganz weit weg. Ruhe haben. Ich bin zum einen: todmüde. Ich stehe zum anderen: total unter Strom. So sehr setze ich mich unter Druck, dass mich die Angst packt, durchzuknallen.
    Ich stelle mir vor, verrückt zu werden. An meinem Schreibtisch im Büro. Ich kann gerade noch aufstehen, schwanke, trete in den Flur. Meine Mitarbeiter blicken sorgenvoll von ihren Bildschirmen hoch. Sie sehen mir an, dass es mir dreckig geht. Ich sage zu meiner Sekretärin: «Ruf den Notarzt!» Dann falle ich um und liege da. Ich schließe die Augen. Ich versuche zu sagen, dass die Arbeit mich verrückt gemacht hat. Sie wollen mich beruhigen, kümmern sich rührend. Aber sie haben ein bisschen Angst vor mir, weil ich so entrückt wirke. Ich diesem Moment ahne ich: Ich komme nicht wieder, mein letztes Chef-Stündlein hat geschlagen!
    Es ist diese Ausbruchsphantasie, die mich befällt, wenn das Telefon morgens chefig klingelt. Meine Gesichtsmuskeln entspannen sich, und ich spüre einen Anflug guter Laune. Ausbrechen. Auch wenn ich dafür durchknallen muss, macht mich der Gedanke happy. Unter hundert Morgen sind vielleicht drei ohne diese Bilder. Also ungefähr ein Tag pro Monat. Einer ohne die körperlich schmerzende Horrorvision, in der ich eines Fehlers überführt werde. Ein Tag im Monat ohne Ausbruchsphantasie.
    Woher wohl die Angst vor dem Ertapptwerden kommt? Ich erinnere mich an einen Vorfall in meiner Grundschulzeit. Es war in der dritten Klasse.

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