Bis unter die Haut
»Leider nur ein paar Brocken.«
»Würde sich aber gut auf deinem Zeugnis machen!« Sie stupst ihn grinsend an.
»Genau! Also um ein Eis zu bestellen, reicht es. Nein, im Ernst, fast jeder dort spricht Englisch.«
»Hast du noch Geschwister?«
»Hey, soll das etwa ein Verhör werden? Ja, eine Schwester, Rebecca, sie ist sechs Jahre jünger. Zufrieden? Los, du bist mit der nächsten Kategorie dran.«
»Hmmmm.« Willow knabbert an ihrer Unterlippe. »Lass mich mal nachdenken …« Leute, die lieber in der Stadt leben versus Landeier … Gähn. Leute, die … genau, Leute, die die Republikaner wählen versus … Nein, auch nicht … Leute, die wie Andy sind, und Leute, die wie Guy sind. Haha, wer sonst ist wie Guy? Leute, die ihre Eltern umbringen, und Leute, die es nicht tun … Leute, die sich ritzen, und Leute, die Ritzer decken …
Aber das ist der absolut falsche Moment, um sich von solchen Gedanken einholen zu lassen. Sie hat – unfassbar, aber wahr – Spaß daran, hier mit Guy zu liegen und herumzualbern, und das will sie sich auf keinen Fall verderben.
»Ich hab’s.« Sie sieht ihn triumphierend an. »Leute, die Sherlock-Holmes-Geschichten …«
»Ja?« Guy beugt sich gespannt vor.
»… mit Watson besser finden – und Leute, die die Geschichten ohne ihn mögen.«
»Niemand findet die Geschichten gut, in denen Watson nicht vorkommt!«, ruft Guy fassungslos.
»Woher willst du das wissen?« Willow richtet sich auf und setzt sich in den Schneidersitz.
»Okay, kennst du jemanden?«, fragt er.
»Nein, aber das heißt doch nicht, dass es solche Leute nicht gibt! Wobei ich zugeben muss, dass ich überhaupt nicht besonders viele kenne, die Sherlock Holmes lesen.«
»Also, jemand, dem die Geschichten ohne Watson lieber sind …« Guy stutzt. »Warte mal, gehörst du etwa zu denen, die …«
»Nein!«, ruft Willow. »Watson! Ich gehöre eindeutig zur Watson-Fraktion. Die ohne ertrage ich nicht.«
»Puh, Glück gehabt.« Guy lässt sich mit gespielter Erleichterung auf die Ellbogen zurückfallen.
»Okay, und jetzt erzähl mir noch was über Kuala Lumpur.«
»Hm. Das Wetter dort ist echt mies.«
»Das ist das Einzige, was dir dazu einfällt?«, fragt sie lachend. »Na gut, dann über deine Schwester. Versteht ihr euch gut?«
»Eigentlich schon, aber im Moment ist es ein bisschen schwierig. Na ja, sie ist zwölf. Unsere Interessen gehen grade ziemlich auseinander, verstehst du?«
»Absolut.« Sie nickt. »Bei David und mir war es eine Zeit lang genauso, aber je älter ich wurde, desto besser lief es zwischen uns. Nur im Moment läuft es wieder nicht so toll. Richtig mies sogar.«
»Das tut mir leid«, sagt Guy mitfühlend.
»Als … Als ich dich und Laurie vorhin vorbeigehen sah, saß ich grade mit ihm im Café.« Sie redet ganz schnell und die Worte stürzen nur so heraus. »Ich, na ja, ich konnte einfach nicht länger mit ihm dort sitzen bleiben, es war einfach zu verkrampft. Also hab ich behauptet, ich wäre mit euch verabredet. Ich hoffe, es hat dir nichts ausgemacht. Also dass ich mich euch einfach so angeschlossen hab, meine ich.« Sie sieht verlegen zu Boden.
»Na ja …« Guy tut so, als müsse er erst ernsthaft darüber nachdenken. »Was macht mehr Spaß? Gespräche über Nagelpflege? Übers Rudern? Oder Sherlock Holmes? Verdammt schwierige Entscheidung …«
»Okay.« Sie lächelt zögernd.
»Aber was war zwischen dir und deinem Bruder überhaupt los?«
»Wir haben nicht miteinander geredet.« Willow hält kurz inne. »Das heißt geredet haben wir schon, aber dabei nicht wirklich etwas gesagt , verstehst du? Aber so ist es zur Zeit ja mit allem.« Sie legt sich wieder auf die Seite und sieht ihn an. »Nichts ist so, wie es sein soll.«
»Zum Beispiel?«
»Er ist beim Elternsprechtag gewesen …«
»Ja klar, ich weiß. Meine Eltern waren auch da und ich musste sie begleiten.« Plötzlich schweigt er betreten. »Erzähl weiter«, sagt er schließlich leise.
»Na ja, er hat mir nichts von dem Termin gesagt und vorhin auch so getan, als wäre er nur ganz zufällig in der Gegend.« Ihre Stimme klingt verbittert. »Warum sagt er mir nicht einfach, dass es ihn fertigmacht, dass er jetzt meinen Erziehungsberechtigten spielen und sich mit so was herumschlagen muss?«
»Vielleicht hat er es dir ja aus einem ganz anderen Grund nicht erzählt. Vielleicht tut es ihm leid für dich. Wenn ich an seiner Stelle wäre – mir würde es für Rebecca wahnsinnig leidtun. Ich wäre traurig, dass ich
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