Bis zum bitteren Ende
geisterhaftes Weiß hinter leuchtenden Punkten auf ihrer Netzhaut. Hin transparentes Gespenst, bei dem jede einzelne Schuppe in weißem Feuer schimmerte, aber ihm fehlte jegliche Substanz. Nur seine Umrisse blieben und wanden sich in verzweifelter Qual, als sich sein uralter Leib auflöste.
Dann war er verschwunden, und die Druckwelle traf sie, eine Wand aus Feuer und kinetischem Donner, riß sie von den Beinen und schleuderte sie rückwärts durch die Glastüren. Sie landete auf dem Plüschteppich, und die Glasscherben schnitten sie an tausend Stellen, und dennoch war sie irgendwie noch am Leben. Noch in einem Stück, obwohl sie wußte, daß das vollkommen unmöglich war. Die Explosion hätte sie töten müssen.
Im Hier und Jetzt am Balkongeländer schüttelte Nadja den Kopf, um die Erinnerungen zu vertreiben. Mit einem Taschentuch wischte sie sich Tränen vom Gesicht und straffte sich. Carla hatte nicht erklären können, warum die Explosionswirkung eingedämmt worden war und sich nach innen gerichtet hatte. Das war der einzige Grund, warum Nadja überhaupt überlebt hatte. Carla hatte keine magische Barriere entdeckt. Nichts derart Simples. Die beste Erklärung, die Carla ihr aufgetischt hatte, war die, daß bei der Erschaffung des Managewitters die Explosionsenergie irgendwie in den Strudel gesogen und in den Astralraum und die Metaebenen abgeleitet worden war.
Vielleicht war es ein glücklicher Zufall, daß Nadja noch lebte, während Dunkelzahn - das Wesen, das ihr Gebieter, ihr Wohltäter und ihr Lehrer gewesen war - verdampft war. Oder vielleicht hatte Dunkelzahns Mörder - wer immer dies auch sein mochte - die Gäste des Amtseinführungsballs schützen wollen, die vielen mächtigen Leute im Watergate Hotel.
Nadja wurde sich der Anwesenheit Gordon Wus ein wenig seitlich hinter ihr bewußt. Gordon war ihr Assistent, extrem zuverlässig und mit einem perfekten Sinn für Etikette ausgestattet. Ohne ein Geräusch zu verursachen, wartete er darauf, daß Nadja seine Anwesenheit zur Kenntnis nahm.
Nadja sammelte ihre Willenskraft und drehte sich zu ihm um. Gordon war ein kleiner Mensch asiatischer Abstammung und mit einem SimSinn-Recorder ausgerüstet, der alles aufzeichnete, was er erlebte, wenn er im Dienst war. Außerdem hatte er noch eine separate Cyberkamera als Rückendeckung, die, falls nötig, Videoaufzeichnungen anfertigen konnte.
Nadja bedeutete ihm mit einem Kopfnicken zu sprechen.
»Zwei Elfen sind hier, die Sie sprechen möchten«, sagte Gordon. »Sie haben keinen Termin, aber als ich sie darauf hinwies, lachte die Frau, und der Mann wurde wütend. Sie bestanden darauf, bis ich ihnen versprach, sie zu melden. Ich soll Ihnen sagen, daß Aina gekommen ist.«
Nadja überlief ein Schauder der Erregung. Aina wurde in Dunkelzahns Testament erwähnt, und ihr sollte eine Stellung im Aufsichtsrat der Draco Foundation angeboten werden. Unter den unzähligen Geheimdokumenten, die nach Dunkelzahns Tod in Nadjas Besitz gelangt waren, hatte sich auch eine Mitteilung in bezug auf Aina befunden, eine Warnung, daß ihr Eintritt in die Draco Foundation zwar von entscheidender Bedeutung sei, sie aber höchstwahrscheinlich nicht dazu bereit sein würde.
Nadja hatte seit der Verlesung des Testaments schon oft versucht, Kontakt mit Aina aufzunehmen, doch keine ihrer Telekombotschaften war beantwortet worden. Bis jetzt.
Nadja lächelte und bedeutete Gordon voranzu gehen. Sie folgte ihm durch die Doppelglastür und in das Wohnzimmer, wo die beiden Elfen warteten, eine Frau und ein Mann. Die Frau stand vor den hohen Fenstern, und ihre Haltung hatte etwas Kaltes an sich. Etwas Distanziertes.
Sie trug bequeme blaue Jeans und ein weißes T-Shirt und sah umwerfend aus. Ihre Hautfarbe war ein sehr dunkles Schwarz, die Haare waren in krassem Gegensatz dazu schlohweiß, sehr glatt und sehr kurz geschnitten. Sie trug kein Make-up, aber die Schärfe ihrer eifischen Züge bedurfte auch keiner besonderen Betonung.
Das ist Aina, dachte Nadja.
Aina musterte Nadja eindringlich, als diese hereinkam, wobei sie nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Aura zu begutachten schien. Aina lächelte nicht. Ihrer Miene haftete ein Ausdruck der Trauer an. Was verständlich war, da sie mit Dunkelzahn einen geschätzten Freund verloren hatte.
Der Elf, der auf dem Ledersofa saß, sah ebenfalls sehr gut aus und hatte seine langen kastanienfarbenen Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sein Gesicht war clownsweiß bemalt,
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