Bis zum bitteren Ende
auf die Metaebenen zurückgekehrt. Diesmal war er allein gegangen, denn nun, da Thayla nicht mehr da war, brauchte er Lucero nicht mehr. Er ließ sie in Gewahrsam der Jaguargarde zurück und blieb eine Zeitlang auf den Metaebenen, bevor er wieder vor ihr auftauchte und den Gardisten befahl, sie auf den Locus zu bringen.
Jetzt kniete sie inmitten der Gestalt, und Oscuro stand neben ihr, während Tausende immer näher drängten. Der Morgenwind blies kühl über ihre rasierte Kopfhaut, während sie auf das wartete, was kommen würde. Ihr Tod. Oder vielleicht noch Schlimmeres.
Will er mich zur Schau stellen? fragte sie sich.
»Steh auf, mein Kind«, befahl Oscuro, dessen Stimme vor dem Hintergrund des lauten rhythmischen Trommeins kaum zu hören war.
Lucero stand auf. Ihre Kraft hatte aufgrund des Kontakts mit Thaylas Magie zugenommen, und sie wußte, daß sie stärker war als je zuvor. Sie würde der Sucht nach Blut nicht länger nachgeben. Vielleicht hatte Thayla sie trotz allem erlöst.
Oscuros dunkle Augen bohrten sich in sie. »Du wirst in die Geschichte eingehen«, erklärte er. »Deinetwegen ist es mir gelungen, den Widerstand jener zu brechen, die uns unsere rechtmäßige Bestimmung vorenthalten wollen. Wegen deines Gleichgewichts, deiner Liebe zur Schönheit und deinem Verlangen nach Macht. Es ist deine größte Stärke und zugleich deine bedauernswerteste Schwäche.«
Die Menge ringsumher war von seinen Worten wie verzaubert. Lucero erkannte plötzlich, daß die Leute die Worte trotz der Trommeln hören konnten, denn ihre Augen waren glasig geworden, ihre Mienen leer und ausdruckslos. Hypnotisiert.
»Und jetzt«, fuhr Oscuro fort, »hast du noch eine letzte Pflicht.« Er holte ein Zeremonienschwert unter seiner Robe hervor. Ein Macauitl - rasiermesserscharf und für rituelle Opfer bestimmt.
Er wird mich töten, dachte sie. Und er wird mein vergossenes Blut dazu benutzen, die Brücke zu verlängern und die Kluft zu den Tzitzimine zu verkürzen.
Die Trommeln beschleunigten ihr Tempo und hallten wie ein Stakkato-Herzschlag durch das Tal ringsumher. Die Gestalt stimmte einen Singsang an, einen klagenden Lobgesang in langgezogenen Molltönen, der dem Locus Kraftwellen entlockte, die in Luceros Körper fuhren.
Sie versuchte zu fliehen, aber ihre Füße bewegten sich nicht. Sie waren mittels Magie mit dem riesigen Stein verankert.
»Du solltest stolz auf dein Opfer sein, mein Kind. Dein Geist wird mir noch gute Dienste erweisen.«
Die Klinge blitzte rot in der frühmorgendlichen Sonne auf, als sie Lucero entgegenzuckte. Magie zwang ihrem Körper eine Starre auf, ließ sie die Brust vorstrecken und den Rücken durchbiegen. Das Schwert sauste herab.
Trommeln, Singsang.
Das Macauitl drang direkt unter dem Brustbein in ihren Leib ein.
Durchdringende Schmerzen.
Es durchschnitt sie, trennte sie bis zum Schritt auf.
Eine Fontäne der Qual.
Blut und Gedärme ergossen sich aus der Wunde, sprudelten aus ihr heraus - eine Eruption von Adern und Membranen.
Verschwunden waren die Trommeln. Die Menge. Der Tempel. Die schreienden Schmerzen, die über sie hereinbrachen, färbten alles einförmig rot.
Sie fiel auf den Stein und landete auf einem Haufen ihrer eigenen Innereien.
Tod.
Die Schmerzen folgten ihr über die Schwelle hinweg. Ihre Seele wand sich vor Qualen, als sie aus ihrem verstümmelten Körper entwich und völlig in den Astralraum glitt. Die Schmerzen ballten sich in ihr zusammen, als sie dort hing, umringt von der gewaltigen astralen Präsenz der Gestaltwesenheit.
Der letzte Augenblick ihres Lebens hielt in ihrer Seele an - ein Augenblick schierer Qual. Ein Augenblick äußersten Entsetzens und größten körperlichen Schmerzes. Das war alles, was sie jetzt noch war. Alles, was sie je sein würde.
23
Ryan ging die Insel ab und versuchte dabei die Situation zu durchdenken. Er hatte die ganze Nacht auf den Metaebenen verbracht und um sein Leben gekämpft. Um Thaylas Leben. Nach dieser Zeit auf den Metaebenen, von seinem Körper getrennt, fühlte er sich desorientiert. Nicht mehr im Einklang mit seiner physischen Existenz.
Die Brandung schlug gegen die Felsen unterhalb des Walls und ließ Gischt durch die Luft spritzen. Die Mittagssonne schien auf die Wassertropfen und verwandelte jeden in ein winziges Prisma. Für einen Augenblick hing ein Regenbogen an der Nahtstelle zwischen Wasser und Luft.
Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Ryan die Schönheit dieses verwunschenen Ortes bewundert. Doch
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