Bis zum bitteren Ende
Sie war an ihn gebunden, nun, da sie Seele um Seele, Geist um Geist in die Spitze des Vorsprungs einbaute. Irgendwie erreichte sie der dumpfe Trommelschlag auch hier auf den Metaebenen. Der ursprüngliche Rhythmus eines fremdartigen Herzens, der sie dazu trieb, die blutlosen Gespenster der Opfer aufzuheben, die sich hinter ihr stapelten. Der sie dazu trieb, die Seelen zu nehmen und in den Fels zu rammen.
Das Gestein unter ihr war neuer Boden, frisch aus den ersten Opfern geschaffen, die unter ihren Füßen versteinerten, während sie immer weiter vorrückte. Sie ging auf Seelen, auf den Geistern jener, die für immer und ewig in dieser Brücke gefangen bleiben würden.
Oscuros Befehle ließen sie immer schneller arbeiten. Sie schuf die Brücke, dehnte sie wie einen dünnen Fühler über den bodenlosen Abgrund zwischen den Ebenen aus. Wieviel Zeit war vergangen? Sie hatte keine Möglichkeit, das festzustellen.
Wie viele Opfer? Wie viele Seelen waren gekommen, hergeleitet vom Locus und durch die Säule aus Feuer und Blut, die von der Gestalt aufrechterhalten wurde? Es waren zu viele, um sie zu zählen, aber der unglaublichen Entfernung nach zu urteilen, die sie mittlerweile zurückgelegt hatte, mußten es Hunderte sein, vielleicht Tausende.
Sie spürte die Anwesenheit der Tzitzimine, der Kreaturen von der anderen Seite. Sie waren jetzt viel näher, und mit jedem Trommelschlag näherten sie sich weiter. Sie flüsterten ihr zu, flehten sie an, ihnen zuzuhören.
Bohrten sich in ihren Verstand. Erzählten ihr süße Lügen. Sagten ihr, daß sie nicht Oscuros Sklave bleiben mußte. Daß sie sie befreien konnten.
Als sie aufschaute, war sie überrascht, wie schmal die Kluft geworden war. In Abwesenheit von Thaylas Licht hatten die Kreaturen ihre Bemühungen verdoppelt. Sie hatten große Fortschritte gemacht.
Doch es war Luceros Seite der Brücke, die in einem rasanten Tempo gewachsen war. Sie bewegte sich schneller, als sie dies im Leben je vermocht hatte, und war in der Erledigung ihrer Pflichten unermüdlich.
Sie hielt für einen Augenblick inne, als sie die Wesen deutlicher sehen konnte. Widerliche Ungeheuer, deren spitze Knochen durch die Haut drangen, fremdartige Gestalten mit furchteinflößenden Zähnen und Klauen. Doch als sie genauer hinsah, verwandelten sie sich in staunenswerte Kreaturen mißverstandener Schönheit. Sie würden aus dem Universum einen wundervollen Ort machen.
Die Aale in ihrem Verstand glitten immer weiter, übernahmen die Herrschaft.
Die Tzitzimine würden sie befreien. Sie würden ihr Macht geben. Was immer sie wollte.
Sie glaubte ihnen. Für einen Sekundenbruchteil unterwarf Lucero sich ihnen.
Die Aale legten sich um ihren Verstand.
Dann zerrten sie an ihrer Willenskraft. Furchtbare, knochenzermalmende Schmerzen durchfuhren sie.
Sie arbeitete schneller, und die Schmerzen ließen etwas nach. Sie hob die geopferten Seelen hoch und schmetterte sie in den Fels, wobei sie sich immer schneller bewegte.
Blut tropfte von ihr, Fleischbrocken und Organklumpen flogen, da sie sich in eine Raserei steigerte. Sie ging dazu über, zwei, drei Seelen gleichzeitig zu befestigen, dann walzte sie über sie hinweg, um die nächste Gruppe in den Fels zu rammen.
Luceros Qualen ließen nach.
Die Schmerzen waren nicht mehr da. Ihr Eigenwille war ebenfalls nicht mehr da, sondern einer stetig wachsenden Ekstase gewichen. Einem grandiosen Schock der Lust, der noch zunahm, je schneller die Brücke wuchs. Die Kluft war jetzt nur noch wenige Meter breit. Bald würde sie gänzlich überwunden sein.
Bald würde die Brücke fertig sein und die Welt sich für immer verändern.
35
Ryan sprang von dem schmalen Sims im Fahrstuhlschacht in den kleinen Alkoven. Bevor er und die anderen an der Drachenskulptur vorbei und durch den Saal zum Haupteingang laufen konnten, mußte er die Wache außer Gefecht setzen.
Rotblonde Haare und verchromte Augen, die zu Schlitzen verengt auf ihn gerichtet waren. Auf diese geringe Entfernung konnte seine Magie ihn nicht mehr verbergen. Sie konnte ihn sehen - ein verschwommener Schatten vor dem dunklen Hintergrund des Fahrstuhlschachts.
Ryan schlug nach ihr, während sie die AK-98 in Anschlag riß. Er versteifte die Finger und traf mit geübter Präzision einen Nervenknoten am Hals in der Hoffnung, daß in ihrem speziellen Fall die Nerven biologischer und nicht kybernetischer Natur waren.
Sie bekam das Gewehr nicht ganz hoch. Ihre Kiefer verkrampften sich vor Schmerzen, und
Weitere Kostenlose Bücher