Bis zum bitteren Tod (German Edition)
Polizeibeamten hin und her scheuchten.
Ravi sah ihnen nicht in die Augen, sondern ging schnell an ihnen vorüber, bis er 100 Meter weiter das Pub an der Ecke Bennett und Arlington erreichte, The Blue Post, dessen kleine Tische am Bürgersteig allesamt unbesetzt waren.
Ravi nahm an einem von ihnen Platz und wartete einige Minuten, bis der Kellner herauskam und sich dazu herabließ, ihm Orangensaft und Kaffee zu bringen. Englands meistgesuchter Mann, als Finne verkleidet, saß jetzt hier und beobachtete das Kommen und Gehen vor dem Ritz, machte sich mit dem Verkehr und den Leuten vertraut. Bereits jetzt erkannte er besorgt, dass der Platz nicht besonders groß war und leicht von Sicherheitsleuten besetzt werden konnte.
Beunruhigender noch war der kleine Stau, der sich in der Arlington Street unmittelbar vor dem Haupteingang zum Ritz bildete. Ein hohes Fahrzeug, das hier stehen blieb, konnte ihm die Sicht rauben, wenngleich er davon ausging, dass der US-Botschaftswagen, der den Admiral sicherlich abholte, direkt vor den sechs weißen Stufen halten würde.
Nach einer Stunde zahlte er und ging zurück über die Piccadilly zur Dover Street und in seine neuen Räumlichkeiten.
»Hallo, Sir. Schon wieder da?«, begrüßte ihn Reggie.
»Bring nur mein Briefpapier«, erwiderte Ravi. »Ich nehme den Aufzug.«
In seinem Büro schob Ravi den Stuhl ans Fenster, ließ dann die Jalousie herunter, bog eine der unteren Lamellen nach unten und spähte hinüber zum Hoteleingang. Fünfmal in der nächsten Viertelstunde notierte er einen hohen Wagen, der am Hotel vorbeifuhr. Zwei von ihnen blieben zwischen 33 und 39 Sekunden lang im Verkehr stecken, zwei fuhren einfach ohne anzuhalten daran vorbei, und einer befand sich so weit auf der rechten Seite, dass es keinen Unterschied machte, ob er angehalten hätte oder nicht.
Nur eines von den fünf Fahrzeugen hätte ihm Probleme bereitet, ein Risiko, entschied der Hamas-General, mit dem er leben musste. Erneut verließ er sein neues Büro, bog diesmal nach rechts ab, ging die Piccadilly hoch und unterquerte durch die U-Bahn-Station Hyde Park Corner die riesige Kreuzung am Ende des Grosvenor Place.
Schlendernd kam er am Belgrave Square an, war zufrieden mit seiner morgendlichen Arbeit und bedauerte sehr, dass er mit Shakira abends nicht ausgehen und durch die Lokale streifen konnte, wie er es in früheren Jahren getan hatte – es schien tausend Jahre her zu sein, damals, als er noch nichts von der Hamas wusste.
Er dachte ans Grenadier gleich um die Ecke in den Grosvenor Crescent Mews; er dachte ans Bunch of Grapes in Knightsbridge, wo sich jeden Sonntagmorgen nach der Messe im Brompton Oratory nahezu jedes reiche katholische Mädchen einfand; und er dachte ans Scarsdale Arms, ans Windsor Castle und an die italienischen Restaurants in der Fulham und der King’s Road. So viele Orte, wo man ihn, ausgestattet mit der Kreditkarte seines Vaters, einst willkommen geheißen hatte. Diese Lokale allerdings wären jetzt gefährliches Terrain, wo sich noch immer Leute aufhielten, die ihn erkennen könnten.
Mit tiefem Bedauern wurde ihm jetzt klar, dass er in dieser freundlichen Stadt ein Geächteter war, ein Ausgestoßener im eigenen Land, ein Feind des Volkes. Hätte er es gekonnt, so hätte er in diesem Augenblick wohl die Uhr zurückgedreht und sich anders entschieden. Wäre Shakira nicht gewesen. Immer Shakira.
Es gibt keine größere Liebe , murmelte Ravi in Abänderung des Johannesevangeliums, als wenn einer sein Vaterland für seine Frau hingibt.
Lächelnd stieg er ruhig die Stufen zur syrischen Botschaft hinauf und drückte, wie ausgemacht, auf die Klingel. Er war ein Besucher, nie ein Bewohner. Und die Frau, für die er sein Vaterland hingegeben hatte, hieß ihn willkommen, als wäre er sechs Monate und nicht vier Stunden fort gewesen.
Die Anwesenheit ihres Mannes war für Shakira der einzige Trost in den langen, einsamen Stunden, die sie in der üppigen Pracht der Botschaft verbringen musste. Gelegentlich wurde sie zum Essen oder zum Tee mit einem durchreisenden arabischen Scheich geladen, sie unterhielten sich dann höflich über die politische Situation im Nahen Osten. Aber auch an den folgenden zwei Tagen würde Ravi morgens die Botschaft verlassen und zu seinem Büro gehen, sich wenn möglich mit den Mietern dort bekanntmachen, vor allem aber mit den Türstehern Don und Reggie.
Mittagessen nahm er gewöhnlich in der Botschaft ein, am Nachmittag aber kehrte er in die Dover
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