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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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sie.
    «Na und?»
    «Die sind vielleicht ganz nett, die Leute von der Shilo Ranch.»
    «Ein paar amerikanische Kuhhirten, was soll’s.»
    Eine Zeitlang war das Fernsehen für uns die Welt, die sein könnte, ein unbekanntes Land der Imagination, das wir nur vom Hörensagen kannten. Wir schauten uns die Fernsehzeitschrift an und stellten uns die darin angekündigten Filme, amerikanischen Fernsehserien, Krimifolgen und Quiz-Shows vor. Bis mein Vater das Reparieren aufgab und einen gebrauchten, aber funktionierenden Fernseher kaufte.
    Ein älterer Herr in karierten Golfshorts betrat den Laden, und der Friseur sah ihn an, sah mich an, und dann teilte er mir mit, dass ich noch ein Weilchen warten müsse. Ich griff mir eine der Illustrierten, ein amerikanisches Magazin, das wie die meisten anderen Magazine, die dort herumlagen, schon etwas älter war, und blätterte darin. Die Neuigkeiten waren längst Vergangenheit, und das war vielleicht das Beste daran. Es war, wie wenn man ein weit entferntes Gestirn betrachtete. Was man sah, war Geschichte.
    In einem Artikel ging es um einen Preis, den ein Fotograf für ein bestimmtes Foto bekommen hatte: Es war an einem Strand auf Teneriffa aufgenommen worden und zeigte ein paar Touristen, die mit ratlosen (oder auch entsetzten) Mienen irgendetwas beobachteten, das sich außerhalb des Bildes, draußen auf dem Ozean, ereignete. Im Vordergrund sah man eine Frau im grünen Bikini, die einem mit einer roten Sporthose bekleideten Schwarzen aus einer «Volvic Lemon»-Flasche zu trinken gab. Er hockte neben ihr im Sand, jemand hatte ihm eine graue Decke über die Schultern gelegt. Sein Blick war leer, und er war so dünn, dass man unmöglich sagen konnte, ob er noch ein halbes Kind oder schon ein alter Mann war. Wahrscheinlich war es das erste Mal, dass er Volvic Lemon trank. Er hatte sich als einer der Wenigen von einem Boot aus Nordafrika retten können, das vor dem Strand gekentert und untergegangen war. Lange starrte ich auf dieses Foto, dann legte ich das Magazin auf das niedrige Tischchen und stand auf.
    «Na, geht’s dem Herrn mal wieder nicht schnell genug?», rief mir der Friseur spitz hinterher, als ich den Salon eilig und ohne einen neuen Haarschnitt verließ.
     
    Wir saßen zwischen Agaven und Feigenbäumen unter einer hochgewachsenen, alten Pinie und hörten das Flattern der Fledermäuse, die jetzt, in der Dunkelheit, über unseren Köpfen auf Jagd gingen. Oben, zwischen den Ästen des Baumes und etwas unterhalb davon, konnte ich die Milchstraße sehen. Ich nahm das Fernglas und streifte damit über den Himmel. Die Nacht war klar und kühl, wie es schon der Tag gewesen war, und im Feldstecher zeigte sich das Licht Tausender von Welten. Das hatte ich seit Jahren nicht mehr getan.
    «Was machst du da?», flüsterte Cabral.
    «Sterne.»
    «Wir sind nicht wegen der Sterne hier.»
    «Sie scheinen ja auch nicht für uns.»
    Ich gab ihm das Fernglas, und er richtete es wieder auf den Bungalow. Innen brannte noch Licht.
    «Und?», fragte ich.
    «Du hast Instinkt. Du solltest es doch noch einmal bei der Kriminalpolizei versuchen.»
    «Die haben meinen letzten Antrag abgelehnt.»
    «Hast du einen gestellt?»
    «Die Aufnahmeprüfung ist zu schwer. Ich bin nicht schlau genug.»
    «Blödsinn», sagte Cabral, ohne das Fernglas von den Augen zu nehmen. «Sie hätte das Licht nicht anmachen dürfen», sagte er.
    «Sollen wir es jetzt gleich hinter uns bringen?»
    «Nein. Diese Nacht sollen sie noch haben. Samt deinen blöden Sternen.»
     
     
    Am nächsten Morgen warteten wir in unserem Wagen vor der Einfahrt des Resorts darauf, dass die Sonne aufging und der Hotelangestellte, der den Finger gefunden hatte, uns das Tor aufsperrte. Wir hatten uns an einer Tankstelle zwei Galão geholt und tranken den Kaffee in kleinen Schlucken. Dabei starrten wir Richtung Osten und beobachteten, wie der schmale rote Streifen über dem Horizont langsam breiter wurde.
    «Da ist noch einer von deinen blöden Sternen», sagte Cabral.
    «Das ist kein Stern.»
    «Sondern?»
    «Die Venus. Ein Planet.»
    Für einen kurzen Moment war ich wieder der neunmalkluge Junge, der Zehnjährige, der die Erwachsenen belehrt. «Er weiß alles über die Sterne und das Universum und so», hatte mein Vater unseren Verwandten erklärt. «Wenn er groß ist, will er Kosmonaut werden.»
    «Astronaut.»
    «Wo ist denn da der Unterschied?»
    «Die Venus leuchtet nicht aus eigener Kraft, sondern reflektiert das Licht der Sonne. Sie

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