Bis zum Hals
nicht weiter.
»War er?«
»Ja.«
»Afghanistan?«
Nicken.
»Hat er … noch Kontakte nach Afghanistan? Geschäftliche Beziehungen vielleicht?«
Schweigen. Ansatz zu einem Überholmanöver, im letzten Moment abgebrochen angesichts eines auch mit der Lichthupe nicht am Entgegenkommen zu hindernden Tanklastwagens. Dann: »Kristof, hast du je einen Krieg erlebt? Ich meine wirklich, nicht im Fernsehen?«
»Nein.« Nichts in meiner an gewalttätigen Auseinandersetzungen nun wirklich nicht unbedingt armen Vergangenheit lässt sich mit einem Krieg vergleichen, deshalb diese klare Antwort.
»Es gibt zwei Arten, das dort Erlebte zu verarbeiten: Die einen sprechen darüber, die anderen nicht.«
Und das war das, für den Moment.
Wir fanden den Rastplatz, parkten. Der Verkehr rauschte unablässig vorbei, doch das Gelände als solches war leer, ungenutzt, kein anderes Fahrzeug stand herum.
Anoushka wirkte gefasst und nervös zugleich.
»Es ist ein Wohnwagen«, erklärte ich ihr. »Sehr gut und sehr unauffällig von hier aus zu erreichen.«
Wir stiegen aus, schlossen den Smart ab, und ich ging voran.
Nach etwa hundert Schritten war wie auf allgemeinen Konsens hin plötzlich Schluss mit den Arrangements aus Kacke und Tempotüchern. Dafür wurde der Pfad enger, das Gebüsch dichter. Galant, wie ich bin, hielt ich Anoushka die Zweige aus dem Weg, so gut ich konnte, atmete den Duft ihres Haares, wenn sie sich an mir vorbeidrückte, bevor ich wieder die Führung übernahm. Sie bewegte sich leise und angespannt, stoppte mehrmals, um zu lauschen.
Ich fragte mich, was sie erwartete, wurde gleichzeitig aber angesteckt von ihrem raubtierhaften Verhalten, so dass ich unwillkürlich flüsterte, als die niedergetrampelte Stelle im Maschendrahtzaun des Campingplatzes in Sicht kam.
»Gleich sind wir da«, raunte ich, machte einen Schritt nach vorn, und Anoushka schrie auf, packte mein Bein und riss mich seitwärts ins Unterholz.
Noch ehe ich etwas äußern konnte, machte sie sich von mir los, drehte sich kniend und zitternd in unglaublicher Vorsicht zum Trampelpfad, beugte sich vor und blies den Staub von etwas, das ich erst beim zweiten Hinschauen als das erkannte, was es war. Eine runde, dickwandige Hülse aus Messing, etwa im Format eines Flaschenhalses, die vielleicht einen Zentimeter oder so senkrecht aus dem Sand herausragte.
»Das ist eine Markierung, ein Vermessungspunkt«, erklärte ich, und Anoushka entspannte sich mit einem Seufzen. »Wahrscheinlich noch vom Bau der Autobahn«, laberte ich einfach weiter, bis mir dämmerte, was sie gedacht hatte, worauf ich da um ein Haar getreten hätte.
Ich rappelte mich hoch in eine sitzende Position, staubte mir den Ärmel ab. Sie richtete sich auf, sah mich an, erleichtert und entschuldigend zugleich.
Stille senkte sich über uns, breitete sich aus wie verschütteter Honig.
Jemand klopfte mit dem Taktstock auf ein Pult, vierundzwanzig Geiger hoben ihre Bögen …
»Das … tut mir leid«, sagte sie.
Ich wiegelte ab. »Stell dir vor, du hättest recht gehabt …« Und nichts getan, so ging der Satz weiter, dann hätte der gute Kristof jetzt keine Beine mehr. Und keine Eier.
Der Dirigent ließ den Taktstock sinken, die Geiger ihre Bögen. Alle sahen mich an. Ein andermal, Jungs.
»Du warst auch im Krieg«, stellte ich fest.
Sie richtete sich auf, reichte mir ihre Hand, zog mich hoch. So schmal, so kräftig.
»Alles für dein Stipendium?«
»Wenn du in der Armee bist, Kristof, dann bist du in der Armee.« Und das war das, mal wieder.
Der Wohnwagen stand verlassen, der Krempel an seiner Rückseite seit meinem letzten Besuch unverändert. Wir gingen rein, und Anoushka blickte sich ratlos um. Ich hatte den Umschlag und das Handy aus dem Lenkrad des Smart gefummelt und mitgenommen.
Als Erstes gab ich Anoushka den Umschlag. Sie zog die Bögen heraus, glättete sie und betrachtete sie mit gerunzelten Brauen. Ich fragte sie nach dem plump gefälschten Security-Ausweis, und sie zuckte nur die Achseln. Nein, ihr war weder bekannt, dass Dimitrij einen Job gesucht hätte, noch was er mit einem solchen Ausweis vorgehabt haben könnte. Schließlich gab ich ihr Gisbinjews Übersetzung des in Tatortnähe gefundenen Schreibens zu lesen.
Ja, es war ihre E-Mail-Adresse, aber das Gedicht als solches hatte sie nicht mehr erreicht.
Schickte Dimitrij öfter solch poetische Mails?
Seufzen. Von Zeit zu Zeit.
Fand sie nicht auch, dass die letzte Zeile irgendwie düster prophetisch
Weitere Kostenlose Bücher