Bis zum Hals
klang?
Ja.
Hatte sie wirklich keine Ahnung, worauf sich das beziehen könnte?
Nein. Sie faltete den Zettel zusammen, dann noch mal, dann noch mal. Verschloss ihn fest in ihrer Faust.
»Und das ist alles, Kristof? Alles, was du von seinen Sachen noch gefunden hast?«
Ich schüttelte den Kopf, reichte ihr das Handy und ihre Augen leuchteten auf.
»Das muss wichtig sein«, meinte ich, »sonst hätte er es nicht so sorgfältig versteckt.«
Sie scrollte neugierig im Speicher herum, konnte mit den notierten Rufnummern aber so wenig anfangen wie ich.
»Wir könnten ja einfach alle mal anrufen«, schlug sie vor.
»Okay, aber dann von einem neutralen Apparat aus. Falls du ein bisschen allein sein willst, gehe ich eine Telefonzelle suchen. Okay?«
Sie nickte, doch von dem Handy wollte sie sich nicht mehr trennen, also notierte ich mir die Nummern auf der Rückseite des braunen Umschlags und zog ab.
Das Kreischen planschender Kinder schallte vom See herüber, ansonsten sielte der Campingplatz in einer wie erstickt wirkenden Ruhe vor sich hin.
Das einzige öffentliche Telefon hing zwischen den beiden Eingängen an der Wand des Toilettenhauses. Und direkt gegenüber, ich meine direkt, in Sicht-, Hör- und Riechweite, hatte sich ein Duisburger Ehepaar mit ihrem Wohnwagen niedergelassen, die Bestuhlung davor so ausgerichtet, dass sie ohne Mühe beobachten konnten, wer so alles zum Scheißen kam und ging, und aus ihren trotzigen Mienen war klar herauszulesen, dass sie dieses Privileg mit allen Mitteln zu verteidigen gedachten.
Sie gabelte gerade Koteletts aus einer Pfanne, der man ansah, dass sie nur selten Zeit zum Auskühlen fand, während er Kartoffelsalat aus einer putzeimergroßen Plastikschüssel auf die Teller schaufelte. Dann begannen sie mechanisch zu essen, wobei sie mich nicht eine Sekunde aus den Augen ließen.
Dimitrij hatte nur etwas mehr als ein Dutzend Nummern abgespeichert gehabt – fast ausnahmslos Festnetznummern, wie mir auffiel – und nur Initialen zur Identifizierung verwendet.
Ich hatte keine Ahnung, was für Gespräche gleich zustande kommen würden, hier am luftig überdachten, doch ansonsten schutzlos den Elementen wie den Blicken wie den Lauschern des Duisburger Paares ausgesetzten und damit buchstäblich öffentlichen Fernsprechers, deshalb wählte ich erst mal eine Fantasienummer, bis mir eine Automatenstimme genau diesen Fakt bestätigte.
»Was?«, fragte ich, und legte eine Spur von Alarm in meine Stimme. »Hör zu«, forderte ich, und die beiden Duisburger fühlten sich sichtlich angesprochen, »mach jetzt bitte keinen Fehler!« Er spülte einen Bissen mit Bier herunter, sie nahm sich noch mal Kartoffelsalat nach. »Da wirst du mit Salbe nichts erreichen«, belehrte ich die Sprechmuschel, volltönend, »ein Geschwür wie dieses muss man aufschneiden. «
Der Duisburger und die Duisburgerin beobachteten mich mit Faszination und mahlenden Kiefern.
»Ja, aufschneiden. In einem Rutsch. Hast du’s?«
Sie nahm sich den Knochen ihres Koteletts vor, benagte ihn und beäugte mich dabei, er wiederum war nun an der Reihe, sich noch ein paar Kellen vom Salat auf den Teller zu hieven.
»Natürlich quillt jetzt der Eiter. Das ist doch der Sinn der Sache. Ja, und Blut auch. Völlig normal. Lass das ruhig alles ablaufen. Was? Maden? Was du mit den Maden machen sollst? Erst mal alle rauspulen aus der Wunde. Und dann einzeln ausquetschen, natürlich.«
Die Duisburger unterbrachen ihre Nahrungsaufnahme aber auch nicht für eine Sekunde.
»Und zwar von vorne nach hinten. Auf die Art bringst du ihren Verdauungstrakt zum Platzen und …«
Die Duisburgerin stand auf. »Willst du auch Torte zum Nachtisch?«, fragte sie ihren Gatten, der nickte, und ich hängte ein, kramte meine Liste und einen Kugelschreiber hervor, drehte den beiden den Rücken zu, versuchte, sie so gut es ging zu vergessen, und machte mich an die Arbeit. Manchmal kann man nicht gewinnen.
Um irgendwie eine Ordnung herzustellen, nahm ich mir die Festnetznummern als erste vor. Wie’s aussah, waren sämtliche Vorwahlen hier aus der Region. Und unter den antwortenden Teilnehmern fand sich gleich vornweg das russische Konsulat in Düsseldorf, gefolgt von einem Catering-Service, einem Gebäudereinigungsunternehmen und einem Limousinen-Vermieter. An Anrufe eines gewissen Dimitrij Jalnikow wollte sich allerdings niemand erinnern. Trotzdem notierte ich mir alle Namen und Adressen für mögliche weitere Recherchen.
Wählte die
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