Bis zum Hals
öffnete mir? Menden.
Obwohl ich es für gewöhnlich nicht zeige, bin ich irgendwie nie wirklich entspannt, wenn ich dem Hauptkommissar begegne. Muss was damit zu tun haben, dass ich mir häufig der Legitimität meiner jüngsten Handlungen nicht ganz sicher sein kann, und wird nicht besser, wenn er mich schon länger sprechen will und ich seinen Wünschen um Rückruf nicht nachgekommen bin.
»Ach du Scheiße«, entfuhr es mir deshalb.
»Ganz meinerseits«, knurrte der Hauptkommissar und winkte mich ungeduldig herein.
»Haben Sie mich dem hier ans Messer geliefert?«, meckerte ich Dr. Korthner an, noch bevor die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war, »oder war das Zufall?«
»Schon wieder zurück von … Wangerooge?«, fragte Menden in meinem Rücken.
»Absicht«, antwortete der Doktor. »Wir haben ein Problem.«
»Ach, bleiben Sie mir doch weg mit Ihren Problemen«, murrte ich, und sei es nur, um mir ein bisschen Luft zu machen. »Alles, was mich interessiert, ist, ob Sie irgendetwas Neues zum Fall Dimitrij beizusteuern haben. In der Erwartung bin ich hergekommen.«
Dr. Korthner hob die Brille in die Stirn und rieb sich die geröteten Lider.
»Um ehrlich zu sein, habe ich den ganzen Tag noch nicht mal einen Blick auf Ihren Toten geworfen«, meinte er müde. »Erst einmal hatten der Hauptkommissar und ich das Opfer eines ›Ehrenmordes‹ zu begutachten.« Er verwies auf den einen Seziertisch, unter dessen grüner Abdeckung ein weiblicher Torso auszumachen war.
»Kein islamisches Umfeld übrigens, ehe Sie etwas Falsches denken. Fatal geendetes Aufbegehren gegen eine im Süden unseres EU-Partners Italien von einem römisch-katholischen Priester geweihte Zwangsehe. Und nun das.« Damit trat er an den anderen Tisch, dessen grünes Tuch eher eine Haubitze als einen menschlichen Körper zu verhüllen schien.
Dr. Korthner schlug das Tuch zurück, und eine Faust wrang meinen Magen wie einen nassen Lappen, während der ganze Raum eine stärkere Turbulenz durchflog.
»Kumpel von Ihnen?«, fragte Menden ungerührt.
»Hätten Sie mich nicht zumindest vorwarnen können?«, blaffte ich den Doktor an, kaum dass ich wieder halbwegs Herr meiner körperlichen Reaktionen war.
»Sorry. Aber nachdem Sie beim Anblick von Familie Dynamitska und dem verkokelten Änderungsschneider nicht mit der Wimper gezuckt haben, dachte ich, Sie wären nicht zu schrecken.«
Ich schüttelte mich. »Die vier Gartenteich-Hirnis haben sich selbst im Zeitraum eines Fingerschnippens ausgelöscht. Und Brandleichen haben immer etwas Abstraktes, ein bisschen was von Geisterbahn. Aber das hier …«
Mit dem Magen erneut in der Mangel trat ich an den Seziertisch, auf dem ein angegrauter Biker kniete, weit nach vorne gebeugt, Kinn auf dem Edelstahl. »Das hier ist … bestialisch.« Das angespitzte Ende eines Holzpflocks ragte ihm aus dem Rachen, das stumpfe gut einen Meter aus dem Spalt zwischen seinen Hinterschinken. Bei allem Grauen auch grotesk, das Hirn weigerte sich, das aufzunehmen. Ich war nur froh, den Typen nicht zu kennen beziehungsweise gekannt zu haben.
»Einer aus Ihrem Verein?«, hakte Menden noch mal nach, und ich schüttelte den Kopf. Dies war kein Stormfucker, doch welchem Club er sonst angehört haben könnte, war nur zu ahnen, denn die »Farben« hinten auf seiner Weste waren abgerissen. Genauso wie – erneutes Schaudern, trockenes Würgen – die Haut seiner Arme.
»Sie sind auch Biker?«, fragte der Doktor.
»War.« Nicht ganz richtig, denn eigentlich bin ich bei den Stormfuckers nie ausgetreten, aber das und den Unterschied zwischen aktiver und passiver Mitgliedschaft zu erklären war mir jetzt zu lang und zu blöd.
»Können Sie sich einen Reim auf das Ganze machen? Haben Sie sich die Arme angesehen?«
»Ja. Danke. Hab ich. Tattoo-Entfernung, wenn Sie mich fragen. Ist er schon identifiziert?«, wandte ich mich an den Hauptkommissar. Der schüttelte den Kopf.
»Die Fingerkuppen sind auch weg. DNA-Auswertung dauert immer.«
Ich beugte mich vor.
»Er ist frisch haftentlassen«, sagte ich. Hochsommer und bleich wie ein Grottenolm. »Hat fünf Jahre abgesessen.« Fünf eintätowierte Punkte unterm linken Auge.
Menden nickte, ging ein paar Schritte in eine Ecke des Raums und hielt sich sein Handy ans Ohr.
»Wo haben sie ihn gefunden?«, fragte ich den Doc.
»Unterhalb der Hardenberg-Brücke. Der Pfahl war senkrecht eingegraben, so dass man sich vorstellen könnte, das Opfer wäre von der Brücke herunter
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