Bis zum Hals
Hummer mit Leerlaufdrehzahl bis zur Hauptstraße kriechen, wusste buchstäblich nicht wohin, links oder rechts, und wohin dann?, als mir die Entscheidung abgenommen wurde.
Von links näherte sich mit hoher Geschwindigkeit der dunkle Audi. Der eine. Kein Vertun.
Ich trat das Gas, kurbelte am Lenkrad und beschleunigte voll auf ihn zu.
Tshukev, der fuhr, während Partner mit irgendwas Schwarzem, Länglichem auf seinen Knien beschäftigt war, bekam riesige Augen, die Audi-Front duckte sich in den Asphalt, ich stand weiter auf dem Gas, blind entschlossen, es zum großen Knall kommen zu lassen, doch Tshukev wich im allerletzten Moment ruckartig aus, schleuderte zwischen zwei Alleebäumen hindurch auf einen Schotterparkplatz und kreiselte dort in einer Riesenwolke von Staub.
Der Mann konnte Auto fahren, keine Frage. So was bewunderst du, zumindest bis er dir, zusammen mit seinem bewaffneten Beifahrer, kurz darauf schon wieder im Genick hängt.
Inzwischen hatte ich die Autobahn überquert, die Mülheimer Stadtgrenze, war zurück in meinem Revier.
Wohin jetzt? Auf dem kürzesten Weg unter möglichst viele Menschen? Wenn Partner mir vorher die Reifen zersiebte, wäre auch der kürzeste Weg zu lang.
Kurzentschlossen bog ich vom Asphalt ab in die Schneise, die parallel zur Bahn über einer Erdgasleitung verläuft, und raste unter zufriedenstellender Staubentwicklung den für Inspektionsfahrten angelegten Weg hinunter.
Die einzige Schwierigkeit für den Audi-Fahrer bestand darin, im Staub nicht vom Weg abzukommen. Ansonsten konnte er mir, sogar mit Abstand, völlig problemlos folgen.
Zumindest bis zum Fuß des Hangs, der einstmals als Vogelsberg den Speldorfer Wald zur Wiege der Ruhr-City-Segelfliegerei gemacht hat. Seit zig Jahren aufgegeben, wuchert die ehemalige Steilwiese längst wieder zu. Nur ein seitlicher Reitweg bleibt unbewachsen.
Ich riss den Wagen herum, und die nahezu senkrecht wirkende Furche aus tiefem, zertrampeltem Kies wand sich vor der Haube des Hummers den Hang hinan.
Kickdown. Die Rückenlehne knarzte, der Himmel überzog die Windschutzscheibe mit seinem grauen Glühen, und der Motor, normalerweise so gelassen, nahm eine angestrengte Note an, wie ein Gewichtheber beim Rekordversuch, in Zeitlupe. Anderthalb Minuten wie mit zusammengebissenen Zähnen durchgezogener Kraxelei später waren wir oben.
Allein.
Ich verkniff mir rüde Gesten genauso wie fröhliches Winken, sondern blieb am Gas und jagte auf dem kürzesten Weg zurück zum Campingplatz.
Mit der Schulter durch die Türe, und Leonid hustete sich das Hemd voll Tee.
»Irgendjemand muss den Typen im Audi gesagt haben, was für ein Auto ich fahre.«
Leonid wischte an seiner Hemdfront herum, was es noch nie besser gemacht hat.
»Und dann auch noch, dass ich mich hier auf dem Campingplatz herumtreibe. Wer kann das gewesen sein?«
Leonid schielte nach seinem Telefon, einem altmodischen Ding mit Wählscheibe, gab auf.
»Ich habe eine Tochter, Kristof. Sie möchte studieren. Weißt du, was man als Sprachlehrer verdient?«
»Sprachlehrer und Gelegenheitsübersetzer. Für deutsche Behörden.«
Er nickte, klopfte sich die Hemdtasche ab, stellte zu seiner Erleichterung fest, dass sie trocken geblieben war, und entnahm ihr eine dürre Selbstgedrehte.
»Wer sind Tshukev, wenn er so heißt, und sein Partner?«
Leonid blies Rauch von sich, hob beide Hände.
»Ich weiß es nicht. Will ich es wissen? Nein. Sie zahlen in Euro, das ist alles, was ich wissen muss.«
»Gib mir Tshukevs Handynummer. Ich will ihn sprechen.«
»Das kann ich nicht machen. Bitte, glaub mir das.«
»Wieso haben die das Gedicht nicht entschlüsselt?«
Mehr Rauch, gefolgt von einem schiefen Grinsen.
»Sie hatten die Abendversion. In der Nacht, vor dem Feuer, haben sie das halbe Seeufer umgegraben.«
Ich sah ihn an. Er wurde wieder ernst.
»Ich will nicht, dass diese Frau stirbt, Kristof. Doch das wird sie, wenn du nicht schnell etwas unternimmst.«
»Aber warum? Was geht hier ab?«
Mehr Achselzucken. »Alles, was ich dir sagen kann, ist dies: Diese Frau, sie ist keine Russin. Genauso wenig wie Dimitrij ein Russe war. Ich hab ja kurz mit ihm gesprochen und gestern Abend auch ein paar Worte mit ihr gewechselt.«
Fläschchen unterm Arm, mochte ich wetten.
»Und sie sprechen russisch, sicher, aber eine, wie sagt man? – bastardisierte Version, ja. So wie eure jungen Türken ein bastardisiertes Deutsch sprechen.«
»Kanakisch.«
»Ja. Sehr en vogue in bestimmten
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