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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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anspricht.«
    Ich nicke. Infektionen waren schon immer das größte Problem. »Was ist mit meinen Händen?«, frage ich. Die machen mir am meisten Sorgen. Nicht das Fieber oder mein Gesicht und meine Arme, sondern meine Hände. Aus irgendeinem Grund sind sie in dem Feuer nicht so schlimm verbrannt worden, aber sie haben immer noch Verbrennungen zweiten Grades erlitten. Ohne meine Hände wieder vollständig benutzen zu können, kann ich meinem Job als Friseurin nicht mehr nachgehen. Manch einer mag das nicht für einen tollen Beruf halten, aber ich liebe ihn. Ich liebe es, wenn eine Kundin mit schüchterner Zufriedenheit lächelt, sobald sie ihre neue Frisur oder die neue Haarfarbe im Spiegel sieht. Ich liebe es, zukünftigen Bräuten die Haare hochzustecken und Teenager für den Abschlussball schick zu machen. Ich bin vielleicht nicht eine Minute länger als nötig auf der Farm geblieben, aber trotzdem habe ich etwas von meinen Eltern gelernt, nämlich hart zu arbeiten. Und genau das tue ich. Die Bezahlung ist nicht gerade toll, aber ich verdiene genug, um für Augie und P. J. sorgen zu können.
    »Machen Sie fleißig weiter mit der Therapie«, versichert mir die Ärztin, »dann sehe ich keinen Grund, warum sich Ihre Hände nicht wieder vollkommen erholen sollten.« Ich lasse mich ins Kissen zurücksinken. Mit einem Mal bin ich sehr müde, aber auch erleichtert. »Sie kommen aus Iowa, oder?«, fragt die Ärztin im Weggehen. Meine Mutter und ich nicken beide. »Da ist irgendetwas über einen bewaffneten Eindringling in einer Schule in Iowa in den Nachrichten.«
    »Oh mein Gott, das ist ja fürchterlich«, ruft meine Mutter. In dem Moment steckt eine Schwester den Kopf zur Tür herein.
    »Bereit fürs tägliche Eincremen?« Sie hält eine Tube mit Creme hoch, mit der sie die transplantierten Stellen einreibt, um zu verhindern, dass die Haut austrocknet und reißt.
    »Immer her damit«, sage ich. Ich bin endlich bereit, gesund zu werden und das Krankenhaus zu verlassen. Je eher, desto besser.

MRS OLIVER
    Mrs Oliver wusste nicht so recht, was sie zu dem Mann mit der Pistole nach seiner Erklärung, er würde für jede falsche Antwort von ihr einen ihrer Schüler erschießen, sagen sollte. Sie glaubte nicht wirklich, dass er seine Drohung wahr machen würde, aber ganz sicher konnte sie sich auch nicht sein. Er wirkte immer abgelenkter und sah alle paar Minuten auf das Display seines Handys. Es war genau das gleiche Modell, das sie sich hatte von Cal kaufen lassen. Man konnte damit telefonieren, etwas im Internet kaufen und eine E-Mail verschicken – und zwar alles gleichzeitig.
    Erneut ließ Mrs Oliver ihren Blick über die Schüler gleiten; die meisten hielten sich erstaunlich tapfer. Sogar Austin, der normalerweise keine dreißig Sekunden am Stück sitzen bleiben konnte und ständig aufstand und umherlief, hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt. Natalies Wangen hatten langsam wieder eine normale Farbe angenommen – sie war beim Anblick des Mannes so blass geworden, dass Mrs Oliver befürchtet hatte, das Mädchen würde gleich in Ohnmacht fallen. Nun wünschte Mrs Oliver sich, der Mann würde sie Bücher lesen oder malen lassen, irgendetwas, das die Kinder ein wenig entspannte und ihnen half, die Zeit totzuschlagen.
    Was Mrs Oliver am meisten Sorgen machte – abgesehen davon, dass eines der Kinder verletzt wurde –, war, wie die Kinder sich fühlen würden, wenn sie in die Schule zurückkehrten, nachdem das hier alles vorbei war. Die Broken Branch School, ihr Klassenzimmer, war als Ort gedacht, an dem die Schüler sich willkommen und sicher fühlten. Ein zweites Zuhause für viele, und wenn man wirklich beobachtete und zuhörte, fanden viele Schüler hier die Fürsorge und Zuwendung, die ihnen zu Hause fehlte. Zum Beispiel Andrew Pippin. Mrs Oliver konnte es nicht beweisen, aber sie war sicher, dass der Junge von seinem Stiefvater misshandelt wurde. Er hatte ständig irgendwelche blauen Flecken, für die er immer eine Erklärung parat hatte, doch da war noch mehr. Eine gewisse Angespanntheit in Andrews Augen, wenn sich der Schultag dem Ende näherte. Dann wurde der Junge noch unruhiger, störte den Unterricht noch mehr, während sein Blick immer häufiger zur Wanduhr glitt, je näher fünfzehn Uhr zwanzig rückte.
    Dieses Gefühl der Sicherheit würde Andrew jetzt verlieren. Genau wie alle anderen Kinder. Die ganze Arbeit, die sie investiert hatte, um eine warme, willkommen heißende Umgebung zu schaffen, war

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