Bis zum letzten Atemzug
Stimme ertönte aus dem hinteren Bereich des Raumes. Mrs Oliver wirbelte herum, der Mann hatte ihren Oberarm immer noch fest im Griff. Natalie Cragg schaute erstaunt zu ihrer älteren Schwester. Die Spitze ihres Pferdeschwanzes war ganz nass, weil sie nervös auf ihren Haaren gekaut hatte.
»Mein Gott«, sagte der Mann erschöpft. »Was bitte ist das hier für eine Stadt? Weiß denn hier niemand, wer sein Vater ist?« Beth stand schweigend da und ließ ihren Blick zwischen ihrer kleinen Schwester und dem Bewaffneten hin und her gleiten. Der Mann ließ Mrs Olivers Arm los und schob sie so heftig beiseite, dass sie gegen den metallenen Heizkörper unterhalb des Fensters stieß. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihr Bein von der Hüfte ab. Der Mann packte Beth an ihrem Pferdeschwanz und zwang sie auf die Knie, wobei er mit seiner Waffe herumwedelte. »Wer ist noch da draußen«?, wollte er wissen.
»Niemand, n-n-nur ich«, stammelte Beth. »Ich dachte … Ich dachte, Sie wären …«
»Ich bin nicht dein verdammter Vater!« Der Mann spuckte die Worte förmlich aus und riss gewalttätig an Beths Pferdeschwanz, was sie erschrocken aufschreien ließ. »Du lügst mich besser nicht an.« Sein Atem ging schwer, und er sah mit einem Mal richtig gefährlich aus.
»Nein, ich lüge nicht!«, versicherte Beth ihm verzweifelt.
Mrs Oliver spürte, dass die Lage immer schneller außer Kontrolle geriet, und humpelte zu dem Mann zurück. »Sehen Sie denn nicht, dass sie zu Tode erschrocken ist?«, sagte sie. »Schauen Sie sie an.« Die Augen des Mannes schienen sich ein wenig zu klären. Er ließ Beths Zopf los, und das Mädchen brach schluchzend auf dem Fußboden zusammen. Mrs Oliver beugte sich vor und flüsterte ihr beruhigend ins Ohr. »Geh jetzt zu Natalie, Beth. Alles wird gut. Siehst du«, sanft wischte sie eine Strähne von Beths feuchter Stirn, »es ist nicht dein Vater. Also geh, setz dich zu deiner Schwester.« Beth nickte und gesellte sich, immer noch weinend, zu ihrer Schwester im hinteren Bereich des Klassenzimmers.
Brennende Wut kochte in Mrs Oliver hoch. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und versuchte, den pochenden Schmerz in ihrer Hüfte zu vergessen. Sie drehte sich zu dem bewaffneten Mann um. »Wenn Sie noch einmal Hand an eines der Kinder legen …« Bevor sie den Satz zu Ende sprechen konnte, holte der Mann aus. Mrs Olivers letzter Gedanke, bevor er sie mit der Waffe seitlich am Kopf traf, war, dass Cal mal wieder recht gehabt hatte: Die einfachste Art, das Gesicht zu wahren, ist, die untere Hälfte fest geschlossen zu halten.
MEG
Der Rechtsmediziner Fred Ramsey wohnt ungefähr zwanzig Minuten von Broken Branch entfernt und sollte bald hier sein. Ich beschließe, dass hier niemand den Tatort oder die Leiche anrühren wird, und stapfe durch den Schnee zurück zu meinem Auto, Twinkie dicht auf den Fersen, um Fred und den Krankenwagen in Empfang zu nehmen und mich ein wenig aufzuwärmen. Ich lasse Twinkie auf den Rücksitz springen und bin mir sehr wohl bewusst, dass meine Kollegen mich damit aufziehen werden, ein Weichei zu sein. Aber ich kann sie nicht draußen in der Kälte lassen. Das Thermometer fällt weiter, und der Wind wird immer stärker. Die gefühlte Temperatur muss bei unter null liegen, und ich kann mir kaum vorstellen, welche logistischen Schwierigkeiten meine Kollegen an der Schule inzwischen zu bewältigen haben. Ich wühle in meinem Handschuhfach, hole die Tüte mit Hundekeksen heraus und schütte sie Twinkie hin, die sogleich kurzen Prozess mit ihnen macht und sich dann zu einem goldfarbenen Knäuel zusammenrollt und ihre Augen schließt. Genau das würde ich jetzt auch gerne tun.
Ich mache mir Notizen zu meiner Entdeckung von Ray Craggs Leiche. Im Streifenwagen ist es endlich warm genug, dass ich meine Handschuhe ausziehen kann. Ich spüre auch langsam meine Füße wieder. Als mein Handy klingelt, hoffe ich, dass es Maria ist, aber auf dem Display steht Stuart. Meine Neugierde gewinnt die Oberhand, und ich gehe ran. »Ja, Stuart? Ich bin hier gerade sehr beschäftigt.«
»Hey Meg«, flüstert er. »Ich habe zwei kurze Fragen an dich …«
»Kein Kommentar, kein Kommentar«, sage ich gelangweilt.
»Ha. Der war gut. Nein, ernsthaft. Das bleibt auch unter uns, wenn du willst«, sagt er sanft.
»Oh ja, das will ich.« Ich bin wütend, dass ich mich wieder in Stuarts Orbit habe hineinziehen lassen. »Warum flüsterst du, Stuart?«
»Ich will nicht, dass Bricker unsere
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