Bis Zum Letzten Tropfen
einzubrechen? Und wozu? Jeder Sprayer, der sich die Mühe macht, sich wie ein Froschmann bis hierher durchzukämpfen, darf meinetwegen ruhig seine Graffiti auf den Bussen verteilen. Himmel, der kleine Scheißer hätte sogar einen Orden verdient.
Nein, hier gibt es keine Mauern. Nichts, was jemanden, der dumm genug ist, hierherzukommen, davon abhalten würde, das zu tun, was immer er hier tun will.
Ich bin völlig durchnässt. Meine Haut ist bedeckt mit durch Chemieabwässer mutierten Algen. Ich ziehe mich auf die rutschigen Felsen, klettere hinauf und schlüpfe oben zwischen zwei der Busse. Die grellen Halogenscheinwerfer der Steinmühle nebenan werfen tiefe Schatten, die mir ausreichend Deckung bieten.
Von hier aus kann ich auch die Enden der Förderbänder erkennen, die die Steinbrocken in die Mühlen transportieren, wo sie zu Kies zerkleinert werden.
Ich lege mich auf den Boden, krieche unter einen Bus und suche verzweifelt nach einer längeren Kippe, die jemand achtlos hat fallen lassen. Einer Kippe und einem Streichholz.
Fehlanzeige.
Ein Stück vor mir stehen einige Busse im rechten Winkel zu einer Betonrampe. Die Wand dahinter, die den Parkplatz von der Steinmühle trennt, ist oben mit Stacheldraht bewehrt und hell angestrahlt.
Jetzt könnte ich gut einen Tunnel brauchen.
Oder eine lautlose Sprengladung, mit der ich unauffällig ein Loch in die Mauer pusten kann.
Was mache ich hier überhaupt?
Ich betrachte den dreckigen Boden, strecke einen Finger aus und schreibe einen Namen hinein.
Evie.
Ich will nicht behaupten, dass dieser Name mir Mut oder Zuversicht verleiht. Er macht mich auch nicht stärker und entschlossener. Das wäre gelogen. Dieser Name bewirkt nichts weiter, als alte Wunden zu öffnen und ordentlich Salz hineinzustreuen.
Trotzdem erhebe ich mich und renne los.
Ich springe auf die Motorhaube eines Busses und von dort aufs Dach. Meine Schritte auf dem Blech werden vom allgemeinen Lärm verschluckt.
Die Rampe ist mindestens zwei Meter breit, die Wand dahinter fast drei Meter hoch, der Stacheldraht darauf noch mal einen halben Meter höher.
Während ich vom Heck des Busses abspringe und mein nackter Fuß das Dach verlässt, male ich mir aus, wie sich meine Beine im Stacheldraht verheddern und ich kopfüber von der Wand hänge, während sich Scheinwerfer auf mich richten und aus allen Richtungen Wachtposten herbeistürmen.
Ich blicke nach unten, sehe, wie meine Füße haarscharf über Wand und Draht hinwegsegeln, bevor mich die Schwerkraft einholt, zu Boden reißt und auf einen Schotterhaufen schmettert. Der Aufprall treibt mir die Luft aus den Lungen und bricht mir drei Finger der linken Hand, mit der ich blöderweise versucht habe, den Sturz abzufangen.
Auf dieser Seite der Wand ist es noch lauter. Und noch heller.
Ich erblicke Berge von Kies und Sand, einen Turm, zu dem die Förderbänder hinaufführen, darunter eine stählerne Konstruktion mit mahlenden Walzen, unasphaltierte Straßen, auf denen Sattelschlepper ständig neue Container mit Kies ankarren, dazu kleinere Fahrmischer, deren Trommeln mit Spiralen bemalt sind und die tonnenweise Zement wegfahren. Alles ist grau, durchbrochen nur von den pechschwarzen Schatten, wo das Licht der Scheinwerfer nicht hinreicht.
Hinter einem Kieshaufen warte ich darauf, dass eine Sirene ertönt, dass die Maschinen abgeschaltet werden und sich schwer bewaffnete Wachen Befehle zubrüllen.
Nichts dergleichen geschieht.
Die Maschinen dröhnen, die Lichter blinken, die Lkws fahren weiter langsam umher.
Ich krabble zum Rand des Schotterhaufens, um nach den Sicherheitskräften Ausschau zu halten, die sich inzwischen sicher darangemacht haben, mich einzukreisen.
Doch da ist niemand außer den Lastwagenfahrern, ein paar schemenhaften Gestalten in einer kleinen Baracke neben den Förderbändern und einem Mann in Uniform, der in einem Klappstuhl am weit entfernten Eingangstor sitzt und ohne aufzusehen die Lkws durchwinkt.
Ich ziehe mich wieder hinter den Schotterhaufen zurück und frage mich, ob ich hier richtig bin.
Vielleicht hat Menace ja auch das Lagerhaus auf der anderen Seite gemeint. Oder eines der Lagerhäuser, an denen ich vorbeigeschwommen bin. Vielleicht ist er aber auch völlig durchgeknallt, und ich vertrödle meine Zeit am Arsch der Welt, weil er glaubt, hier was gesehen zu haben.
Vielleicht ist er durchgeknallt?
Himmel noch mal, der Typ nennt sich selbst Menace. Er hat sich Reißzähne und Krallen machen lassen.
Da gibt’s kein
Weitere Kostenlose Bücher