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Bis Zum Letzten Tropfen

Bis Zum Letzten Tropfen

Titel: Bis Zum Letzten Tropfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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dass sich weder die Polizei noch das Militär in ihre Slums wagten.
    Ich betrachte die ausgedehnte Asphaltfläche um uns herum, auf der sich die anderen Mungiki verteilt haben. Dann wandert mein Blick zum Wasser. Das Wasser ist der Weg hier raus. Egal, ob ich reinspringen muss oder ob sie meine Leiche reinwerfen, es wird wohl im Wasser enden.
    – Sie haben mich inspiriert.
    Er schüttelt den Kopf.
    – Nicht, dass ich besonders viel über die Kikuyu gewusst oder mich für die Kalenjin interessiert hätte. Allein die Tatsache, dass die Unterdrückten, die Ärmsten der Armen, die Angehörigen einer Minderheit, aufbegehrten, hat mich inspiriert. Sie haben sich aus eigener Kraft Respekt verschafft. Egal, mit welchen Methoden. Ich begriff, dass es möglich ist, zurückzuschlagen. Ich sah einen Ausweg. Und ich habe ihn ergriffen.
    Er zuckt mit den Schultern.
    – Mr. Jammer kümmert sich nicht um seine persönliche Sicherheit. Er verlässt sich allein darauf, seine Sklaven durch seinen Charakter an sich zu binden. Bis die Zeit gekommen ist, sie wegzuschicken. Es war leicht, ihm zu entfliehen. Doch die innere Freiheit? Die war ungleich schwieriger zu erlangen. Allerdings hatte mich meine eigene Erziehung die Nützlichkeit der Angst gelehrt.
    Er tippt mit einer Kralle gegen einen Knochen, der von seinem Handgelenk baumelt.
    – Daher beschloss ich, selbst Angst und Schrecken zu verbreiten.
    Er deutet auf die schwarze Lederweste, die er auf dem nackten Oberkörper trägt, und auf seine abgeschnittene Armeehose. Seine Leute tragen ausnahmslos das gleiche Outfit.
    – Ich habe eine Uniform entworfen für mich und die Freunde, die ich von meiner Sache überzeugen konnte. Dann traten wir in Aktion. Handelten nach dem Vorbild der Mungiki. Haben sie in der Bronx immer noch Angst vor uns?
    Ich schnippe Asche von meiner Zigarette.
    – Ja, haben sie.
    Er deutet nach Norden.
    – Und dabei sind wir gar nicht mehr dort.
    Er lässt den Arm sinken.
    – Seltsam, dass die Angst der anderen uns hilft, Freiheit zu erlangen. Doch so ist es. Sie verschafft uns Spielraum, eine Insel der Unabhängigkeit, auf der wir tun und lassen können, was wir wollen. Ich will nicht behaupten, dass es wahre Freiheit ist. Aber zumindest ein Anfang. Zeit und Raum genug, um noch gefährlicher zu werden.
    Er legt eine Kralle an die Schläfe.
    – Ich bin nicht mehr der Junge, der ich einmal gewesen bin. Die materiellen Dinge der MTV-Kultur haben keinen Reiz mehr für mich. Ich bin kein Sklave mehr, der sich nach der Aufmerksamkeit und den spärlichen Zuwendungen eines Mr. Jammer sehnt. Ich bin nicht einmal mehr der Wilde, zu dem ich mich nach meiner Flucht gemacht habe. Ich will kein Blut um des Bluts willen. Ich bin ein aufgeklärter Mensch, geformt durch Lektüre und Forschung. Meine Gedanken sind klar und ihre Artikulation deutlich. Natürlich arbeite ich an den Legenden um meine Person, um weiter die Angst zu schüren, die meine Freiheit ermöglicht. Doch mein Denken ist keineswegs düster und obskur. Im Gegenteil, ich bin zu großer gedanklicher Raffinesse in der Lage. Ein Wort, das ich vor ein paar Jahren noch nicht einmal kannte. Ich kann raffiniert sein, doch ich bevorzuge brutale Gewalt. Meine Persönlichkeit vereinigt all das in sich, jede meiner vergangenen Identitäten und mein neues Selbst, und das aus einem einzigen Grund.
    Er deutet mit der Kralle auf mich.
    – Weil ich ein Ziel habe. Komme, was wolle, alle meine Gedanken sind auf dieses Ziel gerichtet. Für etwas anderes ist keine Zeit.
    Er dreht die Hand und zeigt mir die blasse Handfläche.
    – Und doch kann selbst ein Mann mit einem Ziel vor Augen Bedauern empfinden. Was ich bedauere, ist, dass ich Esperanza Lucretia nicht von meiner Sache überzeugen konnte. Obwohl ich noch immer Hoffnung habe. Die Tatsache, dass du sie kennst und sie für dich bürgt, war Grund genug für mich, mein Ziel kurzzeitig hintanzustellen und mich mit dir zu treffen. Im Gegenzug verlange ich etwas von dir.
    Ich warte.
    Er wendet sich ab.
    – Sag ihr, dass ich sie vermisse.
    Ich schnippe die Kippe ins Wasser und hole eine frische Zigarette hervor.
    – Ja, das Gefühl kenn ich.
    Ich zünde sie an.
    – Das mache ich gerne.
    Er nickt.
    – Also gut.
    Er geht in die Hocke, stellt die Spitze der Machete auf den Boden und faltet die Hände über dem mit Lederstreifen umwickelten Griff.
    – Was willst du?
    Ich inhaliere Rauch und vertreibe so den Gestank des Wassers.
    – Ich hab Esperanza bereits gesagt, dass ich

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