Bis Zum Letzten Tropfen
breite Blutspur aus seiner Bauchwunde. Sie sieht aus wie ein riesiger Pinselstrich.
Wenn er Glück hat, haucht er sein Leben aus, bevor ich ihn erreiche und ihm noch mehr wehtun kann.
Das Mädchen verschlingt mit einem seligen Summen in der Kehle seine Törtchen. Ich ersticke das Geräusch, das aus meiner eigenen Kehle aufsteigen will. Der Raum verschwimmt, zittert. Ich bekomme keine Luft mehr.
Ich füge mir einen weiteren Schnitt zu.
Und noch mal.
Und noch mal.
Bis ich wieder klar sehe.
Die hab ich mir raufbringen lassen.
Ich lasse das Mädchen zurück und gehe wieder zur Treppe.
Tiefer.
Über der nächsten Tür brennt rotes Licht, und dahinter steht ein Wachtposten. Er dreht sich um, erkennt mich und bleibt wie angewurzelt stehen. Der Mund unter dem Schnurrbärtchen steht offen.
Dann ist er tot.
Winzig.
Hätte mich der Junge noch nie zuvor gesehen, wäre er vermutlich nicht dermaßen überrascht gewesen und hätte möglicherweise die Chance gehabt, mich davon abzuhalten, ihm fünf Mal heftig gegen die Schläfe zu boxen, ihm dabei den Schädel einzuschlagen und sein Gehirn zu zerquetschen. Doch so sitzt er jetzt tot auf dem Boden.
Beim vierten Treffer habe ich den Schlagring verloren. Meine Fingerknochen, die gerade dabei waren, langsam zusammenzuwachsen, sind erneut gebrochen. Ich zurre sie wieder fest.
Winzig trägt einen Schlüsselbund und einen Schlagstock bei sich.
Ich nehme nur die Schlüssel.
Die erste Tür führt in einen weiß gestrichenen Raum. Die Farbe bedeckt die Steinwände in mehreren Schichten. Auf dem Boden sind überall Stiefelspuren und rotbraune Flecke. An den Seiten stehen stählerne Seziertische mit Blutabflussrinnen, daneben Stahltischchen, auf denen benutzte Nadeln liegen. Manche sind verbogen, andere abgebrochen. Dazu meterweise Plastikschläuche.
Weiter den Korridor hinunter.
Noch ein Lagerraum.
Pappkartons voll mit leeren, in Papier verpackten Blutbeuteln. Unbenutzte Nadeln. Sterile Plastikröhrchen. Unmengen an Bleichmittel. Eimerweise weiße Farbe. Ein uralter, verstaubter Hochdrucksterilisator.
Und ein Brutkasten.
Wieder versucht das Geräusch, aus meiner Kehle zu dringen. Und diesmal ist es schwieriger, es zurückzuhalten.
Die letzte Tür. Die Geräusche werden lauter. Es riecht nach Kot, Desinfektionsmittel und Verwesung.
Diesmal passt der Schlüssel nicht. Während ich noch Winzigs Schlüsselbund durchprobiere, öffnet sich mit einem Mal die Tür.
– Himmelarsch, Winzig, es ist der Schlüssel mit dem Klebstreifen drauf.
Eine junge Stimme mit einem aggressiven Bronx-Akzent.
Er wirft einen Blick auf meine Jacke, meinen Helm, die Ohrenschützer und die Brille, die mir um den Hals hängt.
– Ach, Scheiße. Du weißt doch, dass du hier unten nichts zu suchen hast. Wenn du ficken willst, ruf an, dann schick ich dir eine hoch.
Ich nehme ihn gar nicht mehr wahr. Mein Auge ist auf den Raum hinter ihm gerichtet. Ich sehe Reihen von Stockbetten, ich sehe die ausgemergelten Körper auf den Betten. Ich sehe Haut, so weiß wie die von Albinos. Ich sehe eine chemische Toilette im Boden am Ende des Raums, vor der sie kauern. Ich sehe Druckgeschwüre und Muskelverkümmerungen. Ich höre ihr Zischen und Grunzen und sprachähnliches Krächzen.
Der Junge aus der Bronx stößt mich mit seinem Schlagstock an.
– Raus hier. Hier ist keine Selbstbedienung, Arschloch. Du fickst, was wir dir schicken.
Ich fixiere ihn.
Etwas blitzt in seinen Augen auf. Er blickt nach unten auf meine nackten Füße.
Im gleichen Moment packen meine Hände seinen Hinterkopf, und mein Knie rammt ihm das Nasenbein ins Hirn. Dann reiße ich so lange an seinem Genick, bis es bricht, und ich glaube, ich fange an zu weinen.
Aber aus einem anderen Grund.
Nicht deshalb.
Nicht deshalb.
Sondern weil ich mich ärgere, dass ich ihn so schnell umgebracht habe. So schmerzlos. Ich hätte mir gerne mehr Zeit gelassen.
Doch so viel Zeit gibt es im ganzen Universum nicht. Es gibt nicht genug Minuten und Sekunden für das, was ich gerne tun würde. Für die Dinge, die ich mir extra noch ausdenken müsste.
Dinge, die ich der Welt antun möchte, weil sie so ist, wie sie ist.
Ich starre die Kreaturen an, die eigentlich Menschen sein müssten, wären sie nicht wie Schlachtvieh aufgezogen worden. Ich starre auf den toten Körper, den ich immer noch in Händen halte. Ich lasse ihn fallen. Dabei klappert Metall auf Stein. Ich gehe in die Hocke und entdecke eine Pistole unter dem Arm des Jungen. Ich nehme sie an
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