Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis Zum Letzten Tropfen

Bis Zum Letzten Tropfen

Titel: Bis Zum Letzten Tropfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
Vom Netzwerk:
kann ich diese Dinge sehen?
    Er wischt sich die Tränen aus dem Gesicht, wobei seine Hand einen dünnen Blutstreifen hinterlässt.
    – Es ist nicht weit von hier.
    Er deutet nach Süden.
    – English Kill.
    Er nickt in Richtung Fluss.
    – Kannst du schwimmen?
     
    Die Mungiki besitzen keine Knarren.
    Natürlich haben sie nichts gegen Schusswaffen, sie haben einfach nur kein Geld, um sich welche zu kaufen. Unter anderen Umständen würde ich es als Segen für die Menschheit betrachten, dass diese Typen nur mit Macheten und selbstgemachten Krallen bewaffnet sind, doch im Augenblick bedeutet das leider auch, dass ich mir von ihnen keine Pistole ausleihen kann.
    – Nicht mal was Selbstgebasteltes?
    – Nein. Keine Knarren.
    Ich betrachte das stinkende Wasser zu meinen Füßen.
    – Scheiße.
    Dann wende ich mich an Menace.
    – Es gibt wirklich keinen Landweg?
    – Nein. Das ist die einzige Route.
    – Scheiße.
    Mit einem Platschen wirft einer der Mungiki den aufgeblasenen Schlauch eines Lastwagenreifens ins Wasser, den sie von einem der Verladeplätze geklaut haben.
    Er dümpelt auf dem schaumigen Wasser der Ebbe.
    – Für was ist der denn?
    Menace geht neben mir in die Hocke und deutet mit der Machete auf eine Sandbank, die aus der Mitte des Flusses ragt.
    – Mussel Island. Die Strömung um die Insel herum ist selbst bei Ebbe sehr stark. Es gibt dort scharfe Felsen. Wenn die Strömung dich runterzieht, schlitzen sie dich auf.
    – Scheiße.
    Er nimmt eine Glasscherbe zwischen zwei Krallen.
    – Ich werde dich nicht wiedersehen, Joe Pitt.
    Ich schnüre meine Stiefel auf.
    – Da würd ich mich nicht drauf verlassen.
    – Doch.
    Er lässt die Scherbe ins Wasser fallen.
    – Ich werde dich nicht wiedersehen. Du wirst nicht von dort zurückkehren. Falls jemand zurückkehrt, wird es ein anderer sein.
    Ich ziehe die Socken aus, stopfe sie in die Stiefel, schlüpfe aus meiner Jacke und dem T-Shirt.
    – Tu mir trotzdem einen Gefallen.
    – Ja?
    Ich deute auf meine Klamotten.
    – Pass gut drauf auf. Ich glaube, dass sie dem anderen Hurensohn ziemlich gut passen werden, wenn er wieder zurückkehrt.
     
    Das mit der Strömung war nicht gelogen.
    Der Schlauch wird mir aus der Hand gerissen, und es zieht mich nach unten, wobei ich eine Lunge voll verschmutztem Flusswasser schlucke. Ich werde herumgewirbelt, meine Schulter kracht gegen einen Felsen, dann ändert die Strömung die Richtung, ich treibe von der winzigen Insel weg und erreiche keuchend die Wasseroberfläche.
    Ich wusste ja gleich, dass ich im Wasser lande.
    Mit kräftigen Zügen entkomme ich dem Sog, der versucht, mich nach English Kill zu spülen und dort an den Felsen unterhalb der Silos einer Raffinerie zu zerschmettern. Dann treibe ich unter der Grand Avenue Bridge hindurch. Ich höre, wie schwere Lkws über die Stahlplatten rumpeln. Vor mir teilt sich der Fluss. Zu meiner Rechten verschwindet er in einer scharfen Kurve hinter einem großen Lagerhaus. Menace hat gesagt, dieser Flussarm endet an der Metropolitan Avenue. Hinter der unsichtbaren Grenze zu Brooklyn.
    Ich könnte diese Abzweigung nehmen. Aber ich will nicht nach Brooklyn. Ich war mal dort, und seitdem bin ich da nicht mehr willkommen.
    Zu meiner Linken fließt das Wasser zwischen einem verlassenen Grundstück und einem Schulbusparkplatz hindurch und klatscht gegen Holzpfähle unter einer namenlosen Straße.
    Ich halte mich an dem langen Stützpfeiler aus Stahl und Zement fest, der in der Mitte der Brücke emporragt. Auf ihm war einst die Vorrichtung gelagert, mit der man die Brücke drehen konnte, um wahlweise Fahrzeuge oder Schiffe passieren zu lassen.
    Zwischen Busbahnhof und Lagerhaus werden Tonnen von Kies auf langen Förderbändern transportiert. Staubwolken verdunkeln die hellen Halogenscheinwerfer, und es ertönt der unaufhörliche Lärm von zerkleinertem Stein und Dieselmotoren. Und dahinter ragt eine hohe, weiß gestrichene Wand aus Schlackeziegeln auf.
    Das ist der Ort, von dem Menace mir erzählt hat.
    Der Ort, an dem ein anderer aus ihm wurde.
    Ich lasse den Stützpfeiler wieder los und schwimme den Kanal hinunter zum Busparkplatz, hinter dem sich die Wand erhebt.
    Damit ich sehen kann, was den Wilden so große Angst macht.
     
    Die Verkehrsbetriebe haben sich nicht die Mühe gemacht, ihren Parkplatz mit einer Mauer oder wenigstens einem Zaun zur Wasserseite hin zu sichern.
    Weshalb auch?
    Wer würde schon durch total verseuchtes Wasser schwimmen, um in einen Busparkplatz

Weitere Kostenlose Bücher