Bis zur letzten Luge
sich fast selbst davon, dass er ein Recht auf Wut gehabt und sie den Missbrauch in der letzten Nacht verdient hatte. Als er sich schneller bewegte, durchströmten sie die ersten sehnsüchtigen Schauer. Ihrem Körper war einmal von einem Mann, den sie nun hasste, beigebracht worden zu reagieren. Jetzt sprach er auf einen anderen Mann an. Sie schlug die Augen auf und rang verwirrt nach Luft; sie erkannte Triumph in Henrys Blick. Wieder versuchte sie, ihn wegzustoßen, aber ihre Hände zuckten nur hilflos an seiner Brust.
Sie schrie auf und gab ihm in der Lust das, was sie ihm im Schmerz verweigert hatte.
Anschließend schloss er sie in seine Arme und hielt sie fest. Sein Körper war nass vor Schweiß, und sie wollte sich von ihm lösen, weg von ihm. Stattdessen zwang sie sich, sich an ihn zu schmiegen. Sie war verwirrt und angewidert von ihrer eigenen Reaktion auf ihn, doch sie hütete sich davor, ihm das zu zeigen. Zwar hatte sie keine Erlösung gefunden, aber sie hatte ihm viel zu viel gegeben.
„Ich habe etwas für dich.“
Sie seufzte und drängte ihre Tränen zurück. „Tatsächlich?“
„Ein Geschenk. Eigentlich nur eine Kleinigkeit.“
„Warum solltest du mir etwas schenken? Hast du nicht bekommen, was du wolltest?“
„Betrachte es als eine Art Belohnung.“ Er rückte ab, und sie verspürte Erleichterung. Sie beobachtete, wie er zum Schrank ging, in den Doris die Kleider gehängt hatte. Dort nahm er etwas aus seiner Manteltasche, ehe er zu ihr zurückkehrte. Sie setzte sich auf und suchte nach dem Nachthemd, das er ihr in der Nacht zuvor abgestreift hatte, doch er schlug die Decke zurück und vergrub es irgendwo darunter. Ihr war eiskalt. Das Feuer war erloschen, und die Sonne hatte das Zimmer noch nicht aufgewärmt. Als sie frierend nach der Decke greifen wollte, hielt er sie zurück.
Er streckte die Hand aus. „Für dich.“
Sie zitterte – ob es nun daran lag, dass sie nackt im Bett saß, oder an der Flut von Emotionen, konnte sie nicht genau sagen. Sie streckte ebenfalls die Hand aus und bemerkte, dass sie bebte.
Er öffnete die Finger. Ein herzförmiges Medaillon lag auf seiner Handfläche.
Sie atmete scharf ein.
„Willst du es nicht, Rory? Ich dachte, es würde dir gefallen.“
Sie hob den Blick, sah ihn an und erkannte, dass es keinen Sinn hatte, ihn anzulügen. „Wie hast du es in deinen Besitz gebracht?“
„Geschichten sind viel schöner, wenn sie mit ‚Es war einmal …‘ beginnen. Aber ich werde dir einfach verraten, dass eine gewisse Bordellwirtin leicht zu bestechen ist.“
Wusste er alles? Oder stellte er nur Vermutungen an? „Sag mir nur, dass du ihr nicht wehgetan hast.“ Sie warf ihm einen flehentlichen Blick zu. „Sag mir, dass es ihr gut geht.“
„Wem, Rory?“
Sie brachte den Namen ihrer Tochter hervor, auch wennihr Hals wie zugeschnürt war.
„Nicolette“, murmelte er, als würde er sich das Wort auf der Zunge zergehen lassen. „Sie ist ein freches kleines Ding. Wie man hört, darf sie manchmal in den Salon, um die Herren zu unterhalten.“
„Bastard!“
„Du richtest deine kleine Beleidigung an den Falschen! Deine Tochter ist der Bastard – ein hellhäutiger Niggerbastard. Genau wie ihr Vater.“
„Wenn du ihr wehtust …“
„Beende deinen Satz ruhig.“ Er streichelte ihr über die Wange. „Ich denke, du hast vergessen, wer von uns beiden verletzbar ist.“
Sie zuckte nicht zusammen. „Warum hast du mich geheiratet, wenn du es wusstest?“
„Ich habe dich geheiratet, weil ich es wusste.“
In dem Moment verstand sie, wie weitreichend sein Hunger nach Macht war. Er hatte sie ausgewählt, weil sie ein Geheimnis hatte, das er ausplaudern konnte, falls sie sich gegen ihn wehrte. Ihr Geheimnis wie auch ihr Name und ihre Blutlinie hatten sie als Ehefrau zur perfekten Wahl gemacht.
Sie hatte nur eine Chance, die Wende zu schaffen, damit der Rest ihres Lebens erträglich wurde und nicht zu der Hölle, die ihre Mutter schon hatte erdulden müssen. Eine schreckliche Chance, und wenn sie noch länger wartete, würde die Chance ungenutzt verstreichen. „Eines ist dir offenbar nicht ganz klar“, sagte sie also.
„Dann kläre mich auf.“
„Du hast überschätzt, was du mir antun kannst.“
„Habe ich das? Ich kann dich wegen deiner Vergangenheit bloßstellen. Ich weiß, dass ich zuerst wahrscheinlich auch entehrt sein werde. Doch wenn der Klatsch aufhört, werde ich der Märtyrer sein und du die Ausgestoßene. Ich verliere vielleicht ein
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