Bis zur letzten Luge
Jahr nicht mehr in die Nähe des Magnolia Palace gekommen – jedenfalls nicht, soweit er wusste. Doch er bezweifelte, dass sie es aufgegeben hatte, das Leben der Tochter, die sie nicht hatte behalten wollen, mitzuverfolgen. Jetzt wusste er mit Sicherheit, dass Aurore Lettie Sue benutzt hatte, um an Informationen zu kommen. Aurore war mit ihrem neugeborenen Baby – einem Kind, dessen Haut für ihren Geschmack weiß genug war – hier in diesem Park.
Er war nicht gekommen, um sie zur Rede zu stellen. Das tat er jede Nacht in seinen Träumen. Es waren wütende, brutale Träume, in denen er sie zwang, ihm zuzuhören, währender ihr Luciens Sünden aufzählte. Rache war eine seltsame Sache. Er hatte geglaubt, das Gulf-Coast-Imperium brennen zu sehen wäre sein Triumph über den Hass auf Lucien. Dann hatte er geglaubt, dass Nicolette zu sich zu holen sein Triumph über Aurore wäre. Stattdessen tobte und fluchte er in seinen Träumen. Und weshalb? Was wollte er? Verständnis? War es ihm noch immer wichtig, dass Aurore verstand, warum er so gehandelt hatte, wie er es getan hatte?
Aurore war inzwischen verheiratet. Ihr Mann wurde von allen Mitarbeitern von Gulf Coast verachtet. Rafe hatte von den Männern, die er kennengelernt hatte, als er am Fluss gearbeitet hatte, und von Frauen, die im Magnolia Palace arbeiteten, Geschichten über Henry Gerritsen gehört. Die Herzogin behauptete, dass Henry Gerritsen gut bezahlte, wenn er zu ihnen kam. Aber keine der Frauen wollte ihn in ihrem Bett haben. Er war brutal, wenn auch nicht brutal genug, um ihm Hausverbot zu erteilen. Er war zu mächtig, um ihn nicht ernst zu nehmen, und er war mit Leuten befreundet, die noch einflussreicher waren als er.
Aurore hatte sich entschieden, jemanden zu heiraten, der genauso war wie ihr Vater – vielleicht ein bisschen durchschaubarer, jedoch mit derselben herzlosen Verachtung gegenüber anderen Menschen. Wenn Rafe sie in diese Ehe getrieben hatte, war das das i-Tüpfelchen seiner Rache.
Und trotzdem träumte er noch von ihr.
Er machte sich auf den Weg in die Richtung, in die er sie hatte gehen sehen. Er wollte, dass sie wusste, dass sie keinen Informanten mehr im Magnolia Palace hatte. Und sie sollte wissen, dass Nicolette das Medaillon nicht länger trug und die Kleine sich nicht mehr daran erinnerte, je eines bekommen zu haben. Er sehnte sich danach, zu sehen, wie Aurore eine weitere Niederlage erlitt. Vielleicht würden die Träume dann aufhören.
Er fand sie an einem geschützten Platz, wo sie auf einer Deckesaß und das Baby im Arm hielt. Sie war der Inbegriff einer jungen Mutter, das Kleid zartlila, mit Bändern aus Spitze, die in den Kragen eingearbeitet waren. Die letzten Jahre schienen keine Spuren hinterlassen zu haben; wenn überhaupt, war sie noch hübscher geworden. Schweigend stand er da und betrachtete sie eine ganze Weile, ehe sie aufblickte.
Er bemerkte, wie sie errötete. Sie beeilte sich nicht, sich mit dem Tuch zu bedecken, und sie strich auch nicht ihr Kleid glatt, um ihre Knöchel zu verbergen. Sie starrte ihn an, und ihr Blick flackerte nicht. „Also“, sagte sie schließlich. „Du weißt es.“
„Lettie Sue arbeitet nicht mehr im Palace.“
„Es gibt bessere Jobs, als Dieben und Huren den Haushalt zu führen.“
„Ich nehme an, sie wird herausfinden, ob das stimmt.“ „Ich werde sie bei einem meiner Freunde unterbringen.“ „Als rechtmäßige Hure? Eine nutzlose Kreatur, die sich zweimal pro Woche für ihren Ehemann auf den Rücken legt und ihre katholischen Pflichten erfüllt?“
„Das Wort dafür ist Ehefrau – ein Wort, das du vermutlich nicht kennst.“
Er lehnte sich an einen Baum und verschränkte die Arme vor der Brust. „Meine Tochter trägt dein kleines Geschenk nicht mehr.“
Sie betrachtete ihren Sohn. „Ich weiß.“
„Tatsächlich? Weißt du auch, dass sie keine Erinnerung mehr an dich oder an die Kette hat? Was wolltest du damit erreichen, Aurore? Hast du gedacht, sie würde dich dann ein bisschen lieben? Wie könnte sie eine Frau lieben, die sie nach ihrer Geburt einfach im Stich gelassen hat?“
Er bekam die Reaktion, die er sich erhofft hatte. Sie zuckte zusammen und wurde blass. „Du hast ihr das doch nicht erzählt, oder?“
„Habe ich nicht?“
Sie legte ihren Sohn an ihre Schulter und begann seinen Rücken zu tätscheln. Dann sah sie Rafe wieder an. Der Trotz in ihrem Blick war ein bisschen abgeflaut. „Hasst du sie so sehr, dass du sie auf diese Art bestrafen
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