Bismarck 01
Zuversicht zu der festen Fügung des Preußenstaats, daß er dazu nur lachte und auf die Festigkeit des Königs baute. Er wußte auch von Zusammenstößen des Militärs mit aufgeregten Menschenmassen, die eine Spannung dauernd erhielten, vom Patent des 14. März, das den Landtag erneut berief. Mit gemischten Gefühlen vernahm er durch Eilboten vom Erlaß des 18., der ein konstitutionell-nationales Programm enthielt, das jeder weitgehenden Forderung »für Freiheit und Einheit« entgegenkam. Aber damit endete sein Wissen, weitere Post aus Berlin war ausgeblieben. Und nun hagelten die Nachrichten auf ihn herein von kreischenden hysterischen Damen, von dem Grafen, der ruhiger erzählte. Wie das Volk vors Schloß zog, um dem König zu danken, wie zwei Gewehre der militärischen Bedeckung, deren Zurückziehung das Volk verlangte, als der König auf dem Balkon erschien, sich zufällig entluden, wie darauf Barrikaden aus dem Boden wuchsen unter Kommandoworten französischer und polnischer Revolutionäre, wie ein blutiger Straßenkampf sich entspann von drei Uhr nachmittags bis zum andern Morgen. Sturmläuten, Salven, Feldgeschrei der stürmenden Garden, wildes Aufruhrbrüllen der Volksmassen, grimmige Tapferkeit auf beiden Seiten.
»Geschlagen haben sich die schuftigen Berliner wie alte Preußen«, gestand Wartensleben, ein richtiger Edelmann, mit unfreiwilligem Stammesgefühl. »Besonders in der Jägerstraße soll es den Truppen viel Blut gekostet haben, den Widerstand zu brechen. Aber die haben nirgends ihre Pflicht verraten wie das Militär in Paris, Straße um Straße haben sie gesäubert und waren Sieger, als leider –«
»Nun, was denn?« fragte Bismarck atemlos.
»Se. Majestät haben Befehl erteilt, die Truppen aus Berlin zurückzuziehen und eine Proklamation ›An Meine lieben Berliner‹ erlassen, worin er allzu milde und versöhnlich sich gleichsam unter den Schutz der Aufrührer stellt. Es laufen sogar Gerüchte um, daß der allerhöchsten Person nicht neue Demütigungen erspart blieben.«
Der Schönhauser stieß einen dumpfen Fluch aus. »Mit Aufrührern paktieren ist der Anfang vom Ende.« Am meisten empörten ihn die Schauermärchen, von weinend durcheinanderkreischendenDame kolportiert, daß die Soldaten in den Straßen »ermordet« seien. Daran war kein wahres Wort, falls man nicht den Waffentod in ehrlichem Kampfe bloß deshalb Ermordung nennen will, weil Barrikadenkämpfer ihn herbeiführten. Ebenso übertrieben klangen aber auch die Legenden der andern Partei über viehische Grausamkeit der Truppen, wie damals allgemein geglaubt wurde, ein Glaube, der noch heute nicht ausstarb. Nur an einigen Stellen räumten die durch ihre Verluste aufs äußerste gebrachten Truppen in ihrer Erbitterung rücksichtslos auf, dumme pommersche Bauernlümmel in Uniform ließen ihre Wut an den verhaßten und beneideten Städtern aus, wobei Wehrlose und auch ganz Unbeteiligte umkamen. Im ganzen unterschied sich der Kampf in nichts von ähnlichen Vorfällen in andern Städten. Die Geschichtschreibung wird aber nie die volle Wahrheit schreiben dürfen, weil beide Parteien logen und einander verleumdeten. Die konventionelle Fabel, wie Napoleon die Geschichte nennt, erstieg hier den Gipfel der Fälschung, indem man dem völlig schuldlosen Prinzen von Preußen, der selber den so überaus entgegenkommenden Erlaß mit unterschrieb und am Hofe das liberale Element sehr gegen die innere Absicht des schwankenden Königs vertrat, ein militärisches Attentat andichtete und ihn mit Verwünschungen überhäufte.
»Man hat auch geplündert und sich an königlichem Eigentum vergriffen«, behauptete eine der geflüchteten Damen.
»Selbstverständlich, das wahre Motiv ist immer Diebesgelüst. Die Großstädte, das Treibhaus niedriger Leidenschaften, sollte man vom Erdboden vertilgen, vor allem Berlin, diesen aufgeblasenen Wasserkopf des Reichs. Solche Übel heilt man nicht durch demokratische Konzessionen und Projektenmacherei für ein einiges Deutschland. In Preußen besteht gar kein Bedürfnis für solche nationale Wiedergeburt vom Schlage der Frankfurter Theorien. Diese ganze demokratische Krankheit ist wie rote Ruhr, für die Rotwein gut ist, alias rotes Blut.«
»Gegen Demokraten helfen nur Soldaten«, stimmte Graf Wartensleben an.
»Übrigens seh' ich die Dinge nicht so schwarz an«, suchte Bismarck den Mut seiner Standesgenossen aufzurichten, »der König wird schon Rat wissen, wenn man ihn nur aus der Gewalt der Aufrührer
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