Bismarck 01
und abgesperrten Palais des Prinzen Wilhelm stehen und blickte hinauf, in Gedanken verloren. »Wer weiß, ob nicht erst unser nachfolgender Monarch in rechte Bahnen einlenkt! Ich fürchte, mit unserm regierenden Herrn werden wir nie dahin kommen. – Ach verdammt!« brach er ab. »Dies ewige Pflastertreten läuft einem die Sohlen durch, ich wohne bei Werdecks etwas abgelegen. Heut abend geh' ich in die Volksversammlung im Milenz' Saal. Adieu!«
Vor tausend Menschen, die den geräumigen Saal füllten, hörte er sehr vernünftige Reden über die polnische Frage, die nachgerade brennend wurde. Während die Polen, deren Wutgeschrei bei keiner europäischen Revolte fehlen durfte, in den Berliner Märztagen gegen das Königtum aufwiegelten, steckten sie sich andererseits hinter den sentimentalen König, der als richtiger Mystagoge jeder unklaren Romantik zuneigte und tiefgerührt den armen Unterdrückten in Posen neue Konzessionen gewährte. Diese armen Unterdrückten vergalten dies in der bei ihnen üblichen Weise durch sofortige allgemeine Deutschenhetze. Die gutmütigen Berliner mit ihrer lächerlichen Vorliebe für alles Fremde hatten das Lied angestimmt: Seid umschlungen, Millionen, und Polen ist noch nicht verloren. Sie erwachten jetzt aus ihrem Verbrüderungstaumel und begriffen, daß polnische »Freiheitsliebe« nur Befreiung Polens und möglichste Niederdrückung des Deutschtums bezweckte. Die polnischen Flaggen und Trikoloren, nach den Märztagen an jeder Straßenecke ein Preußenauge beleidigend, verschwanden wieder. Ein Jude aus dem Posenschen, der sich als stark verprügelter Deutscher vorstellte und von ähnlichen polnischen Exzessen berichtete, brachte die Versammlung in Harnisch.
Sehr befriedigt, daß die Regierung Truppen nach Posen schickte, begann Otto im Landtag eine polenfeindliche Rede, doch unterbrach ihn ein betäubender Lärm, denn bei den Doktrinären, die hier das Heft in Händen hielten, hatte die groteske Idee von Wiederherstellung Polens auf Kosten Preußens noch viele Anhänger. »Er protestiert wieder!« schrie man von allen Seiten. »Weiter kann er nichts!« In der Tat protestierte er auch gegen das Vorgehen preußischer Truppen in Schleswig-Holstein auf Drängen der allgemeinen Stimmung in Deutschland, ihm schien dies sehr verfrüht und unzeitgemäß gerade in dieser Ära innerer Kämpfe. Das mißfiel natürlich wieder der königlichen Regierung. »Solcher Phaethon-Flug der äußeren Politik ziemt dem preußischen Adler nicht, wo ihm gerade die Schwingen gestutzt werden«, äußerte er sich zu Parteigenossen, die ihn in seiner entlegenen Wohnung mit ihrer Weisheit überliefen. »Bisher haben wir nur ein Jena des preußischen Adels, auf ein Jena des ganzen Staates dürfen wir es nicht ankommen lassen.«
»Auf einmal so kleinmütig!« rief Gerlach ungeduldig. »Sie sahen doch, daß alle deutschen Dynastien eine Anlehnung an Preußen suchten. Wie schade, daß der Fürstenkongreß in Dresden, den man sogar nach Potsdam verlegen wollte, gescheitert ist!«
»Begreiflicherweise. Die günstige Gelegenheit wurde verpaßt, wo die von der Revolution bedrohten und überschwemmten Kleinstaaten sich bedingungslos Preußen unterworfen hätten. In der Not wären wohl Opfer erreichbar gewesen, die uns eine gewisse nationale Einheit brachten. Österreich lag ganz darnieder. Aber einen König, der sich gleichsam außerhalb seiner Armee an die Spitze der Demagogen stellte, konnten die deutschen Fürsten nicht brauchen, daran ist nun nichts mehr zu ändern.«
»Werden Sie sich in die konstituierende Nationalversammlung wählen lassen? Sie soll am 22. Mai beginnen und im Kgl. Schauspielhaus tagen.«
»Fällt mir nicht ein. Um Deputierte für das sogenannte deutsche Parlament in Frankfurt zu wählen? Bei solchen Scherzen mache ich nicht mit. Meine Frau ist guter Hoffnung und als guter Ehemann werde ich zu Hause bleiben.«
*
»Ew. Hochwohlgeboren bitte ich ganz ergebenst, im Hotel des Princes, Parterre rechts, zu wichtiger Konferenz mit mir zusammenzutreffen und mir die Stunde gütigst zu bestimmen«, überraschte ihn ein Billett des Freiherrn v. Vincke. In diesem Hotel, an dessen Table d'hote Bismarck täglich erschien, erhielt er eine erstaunliche Eröffnung. Vincke begann:
»Ich spreche im Namen der Parteigenossen und in höherem Auftrag. Wir betrachten die äußerste Rechte als durch Sie vertreten, nur Sie können den König bewegen, auf unsern Antrag einzugehen. Es ist ja eine kitzliche
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