Bismarck 01
untergeordnet der Sorge um das politische Fortbestehen Preußens. In einem trefflichen Zeitungsaufsatz, dessen echt staatsmännische Tiefblicke weit über den Augenblick hinausreichten, warnte er die Bauern, sich gegen die Gutsherren aufhetzen zu lassen, da dies alles nur aus fein ausgeklügelten Parteigründen von den Städtern vorgebracht werde, um das Landvolk durch städtische Advokaten vertreten zu lassen, die dann besonders in Steuerfragen nie das Interesse der Bauern berücksichtigen würden. Er ließdurchblicken, die sogenannte Revolution sei wesentlich ein Niederringen der Agrikulturstände durch die Industrie, deren ausschließliches System die Hand nach Oberherrschaft ausstrecke.
In Berlin blieb vorerst die Ruhe ungestört. Otto beruhigte Johanna wiederholt, daß gar keine Gefahr für die Landtagsmitglieder der Rechten bestehe. Nach seiner damaligen kurzen Rede hatte Georg v. Vincke ihm die Hand gedrückt. Dagegen stürmte Herr v. Gerlach auf ihn ein, der nach Berlin kam, um mit Thadden von jeder Überspannung des Bogens abzumahnen. »Es rast der See und will sein Opfer haben, vor der Hand läßt sich nichts machen, und Ihre Unvorsichtigkeit, immer noch plus royaliste que le roi , wird uns noch ins Verderben stürzen.« »Der Adel muß sich resignieren, man kann nicht gegen den Strom schwimmen«, seufzte Thadden.
»Ich sollte also wie feile schamlose Bureaukraten den Mantel nach dem Winde drehen und um Volksgunst buhlen? Fällt mir nicht ein. Ihr werdet mich nicht aus dem Geleise bringen, und rücktet ihr zehn Mann hoch an als Exekutoren der Heulmeierpolitik. Nichts für ungut! Mein Schwager Arnim in Angermünde tobt mir umgekehrt die Ohren voll, ein Staatsstreich müsse aus Potsdam erfolgen, ich werde ihm noch den Kopf zurechtrücken.«
»Das ist's ja eben,« fiel Gerlach ein, »Sie mißverstehen uns. Wir sind ganz Arnims Ansicht, nur wollen wir nicht, daß Sie zu offen Ihr Royalistenherz offenbaren.«
»Ich verstehe schon. Für solche reaktionäre Pläne bin ich augenblicklich nicht zu haben«, lehnte Otto kühl ab.
»Natürlich, Sie sollen ja mit dem Renegaten Vincke auf intimstem Fuße stehen. Man munkelt, Sie paradierten nur mit Ihrem Opponieren, wollten aber selbst zur Majorität übergehen. Wir, die wir Sie kennen, traten natürlich entrüstet solcher böswilligen Ausstreuung entgegen.«
Otto wurde dunkelrot vor Zorn. »Ich breche dies Gespräch ab. Es langweilt, mir im selben Atem die widersprechendsten Dinge vorwerfen zu lassen. Von der Parteien Haß und Gunst verzerrt, schwankt zwar mein Charakterbild nicht in der Geschichte, denn was ich kleiner Mann hier treibe, ist nicht Geschichte machen. Den Schwätzern aber könnt ihr sagen, daß ich zum Diplomaten nicht geboren bin, daß ich gar nichts anderes sein will als ein ehrlicher Kerl. Das Kurze und Lange von der Sache ist: Jedes schroffe Auftreten schadet heut nur unserer Sache, da habt ihr recht. Aber deshalb auf jedes freie Recht der Kritik verzichten und nicht freimütig den monarchischen Standpunkt im Landtag vertreten wäre Feigheit und Dummheit zugleich, denn mit feigem Maulhalten beraubt man sich jeder Achtung des Gegners. Daß ich je zu den Liberalen übertrete, ist ein für allemal ausgeschlossen, foi de gentilhomme . Aber die neue Ordnung ist gesetzlich sanktioniert, und wir haben es würdig zu tragen. Umsturzgelüstesind ganz verfrüht und angesichts der peinlichen Lage im übrigen Deutschland sehr kurzsichtig.«
»Hm, mag sein«, gab sich Gerlach halblaut zufrieden. »Doch soll einem das Blut nicht kochen, wenn der Thronerbe durch pure Verleumdungen nach England in die Flucht getrieben wird, und wenn der Pöbel vor sein Palais setzt: Nationaleigentum? O, und das abscheuliche Bonmot des Zaren Nikolaus, der früher unsern König ›mon frère poète‹ nannte, der famose Umzug mit der schwarz-rot-goldenen Fahne sei reine Zirkusreiterei: ›Nun brauch' ich keinen Schulreiter mehr, ich lasse meinen Herrn Schwager kommen.‹ So was muß ein König von Preußen, unser allergnädigster Herr, sich von eigenen hohen Verwandten bieten lassen.«
Otto ballte die Faust. »Das geht mir sehr tief. Ohrfeigen vom Ausland sind direkter Ehrenschimpf, während die häusliche Keilerei im eigenen Lande sozusagen in der Familie bleibt. Ich fürchte sehr, der Zar wird sich zu Österreich hinüberziehen lassen, das macht erst recht nötig, daß wir möglichst staatliche Einheit bewahren, um nach außen hin uns zu wehren.« Er blieb vor dem verödeten
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