Bismarck 01
Sache.«»Ich bin gespannt und ganz Ohr. Darf ich fragen, wer die ›Höheren‹ sind, die Sie zu Ihrer Darlegung ermächtigt haben.« »Das will ich nicht verschweigen.« Er dämpfte die Stimme. »Es ist ihre Kgl. Hoheit die Prinzessin von Preußen.«
Oh! dachte Otto, daher bläst der Wind? Der bringt nichts Gutes. »Die hohe Frau kann aber wohl nur im Einverständnis mit ihrem Gemahl etwas beschließen.«
»Hm!« Vincke schob mißmutig die wulstige Unterlippe vor. » Les absents ont toujours tort , der Prinz befindet sich fern vom Schutz in England, hors de combat . Ihre Königl. Hoheit befinden sich dagegen hier zur Stelle, und ihre reife politische Einsicht dürfte ja wohl der ihres Gemahls sehr überlegen sein.« Otto räusperte sich. »Doch beruhigen Sie sich! Das Einverständnis des Thronerben liegt vor. Um es kurz zu sagen: die deutsche Nation fühlt, daß Seine Majestät der regierende Herr ihren nationalen Ansprüchen nicht genügen kann, die nach Konsolidierung der Einheit deutschen Staatenwesens streben. Man wünscht daher die Abdankung des Königs.«
»Ein revolutionärer Akt, den ich vor meinem Gewissen nicht verantworten könnte, es sei denn, daß ich von der Notwendigkeit überzeugt bin.« Im geheimen dachte er: mir ist dies gar nicht unsympathisch, aber dahinter steckt mehr, Prinz Wilhelm scheint mir nicht der Mann, um in dieser Weise gegen seinen Bruder zu intrigieren. »Wenn Sie Garantien geben, daß Preußen hierdurch die gebührende Leitung der deutschen Angelegenheiten erhält, so ließe sich freilich darüber reden. Der Prinz von Preußen ist jeder Zoll ein Mann und würde das Ruder fest ergreifen, das gebe ich zu.«
»Wie? Wo denken Sie hin!« Vincke hob die Augen gen Himmel. »Ein Herr, dessen Porträt die Freimaurerloge in der Dorotheenstraße öffentlich auf die Straße warf! Und das, obschon der Prinz als eifriger Maurer stets es sehr ernst mit seiner Mitgliedschaft nahm! Man darf ohne Übertreibung behaupten, er ist der unpopulärste Mann im ganzen Lande.«
»Sie meinen, in den ganzen Städten! Die Armee denkt anders.«
»Die Armee ist heut eine quantité négligeable !« Vincke schnippte verächtlich mit den Fingern. »Der Prinz ist unmöglich und sieht dies selber ein. Ohne lange auf den Busch zu klopfen: wir wünschen die Regentschaft der Prinzessin während der Minderjährigkeit ihres Sohnes, der in liberalen Prinzipien groß werden wird.«
Otto erhob sich kerzengerade. »Ich habe die Ehre, Sie vorzubereiten, Herr Baron, daß ich auf jeden solchen Antrag nur eine Antwort kennen würde: Anklage auf Hochverrat.«
Vincke biß sich betreten auf die Lippe. »Sie nehmen, werter Herr Kollege, den Fall wieder zu tragisch. Eine politisch geboteneund staatsmännisch durchdachte Maßregel! Das Volk nennt den hohen Herrn den ›Kartätschenprinzen‹, was er ja nicht verdient –«
»Leider!« ergänzte Otto mit beabsichtigter Schärfe.
»Ich werde Ihren Ausruf vergessen, Herr v. Bismarck«, betonte Vincke nicht ohne Bosheit. »Sein Einverständnis liegt übrigens schriftlich vor.«
»Pardon, das glaube ich nun und nimmermehr, bis ich es nicht mit Augen sehe. Dafür hat der hohe Herr zu viel Pflichtgefühl.«
»Mein Herr v. Bismarck, Sie werden hoffentlich nicht meine Glaubwürdigkeit in Frage stellen«, brauste der westfälische Freiherr auf.
»Zu jeder Satisfaktion bereit«, erklärte Otto kühl. »Doch lag mir Kränkung fern. Unter Kavalieren glaubt jeder an das Wort des andern. Aber unter Politikern, pardon, sieht man sich vor. Darf ich also um Auskunft bitten, in welcher Form dies angebliche Einverständnis vorliegt?«
»Hm, nun, nicht in so direkter Form«, gab Vincke kleinlaut zu. »Der Prinz stellte schriftlich eine Erklärung aus, er wolle gern auf sein Erbrecht verzichten, wenn dadurch sein König und Bruder vor persönlicher Gefahr geschützt werde.«
Dem nervösen Bismarck wurden beinahe die Augen naß. »Der ritterliche Herr! So dacht' ich mir ihn! Nun, Se. Maj. sind nicht in Gefahr, aus dieser gar nicht für den angeregten Fall bindenden Aufwallung des Herzens läßt sich also nichts ableiten. Ich danke für die Aufklärung, möchte aber sofort die Verhandlung abbrechen.«
»Wie Sie wollen.« Vincke erhob sich kühl und leicht. »Es war nur so eine Anregung. Ich habe die Ehre.« –
Diesmal machte Otto ernst mit dem Zu-Hause-Bleiben. Aus der Ferne verfolgte er mit grimmigem Behagen die Verschlechterung der demokratischen Entwicklung. Die professoralen Dilettanten
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