Bismarck 01
wollten die deutsche Einheit und Freiheit von heut auf morgen durch das souveräne Volk herstellen. Die Regierungen sollten nur noch dazu da sein, sich demütigen zu lassen. Dabei benahmen sich die republikanischen Freischaren Heckers und Herweghs feige genug.
»Wenn sie nur die nötige Theatergarderobe haben, den grauen Kalabreserhut mit Hahnenfeder, hohe Wasserstiebel und Pistolen im Gürtel«, höhnte Herr v. Bismarck. »Wenn erst Dichterlinge die Spartanerflöte blasen wie der selige Tyrtäos, dann gibt's drollige Katzenmusik. Solche eiteln Literaten haben ein gewisses seichtes Formtalent, und der gebildete Pöbel hält ihren Wortprunk für Poesie. Reißt die Kreuze aus der Erden, alle müssen Schwerter werden!« deklamierte er mit falschem Pathos Herweghs Vers.
Seine Gattin, die am Aussichtsfenster mit einer Häkelarbeit saß, hielt sich die Ohren zu. »Pfui, welche Blasphemie!«
»Wenn's noch einen Sinn hätte! Sind die Grabkreuze aus Eisen? Dichterische Lizenz verwechselt sie wohl mit den Eisernen Kreuzen, die im Knopfloch stecken, nicht in der armen Erde, auf der diese Gaudiebe herumtorkeln. Das Getue in Frankfurt mit dem Kaisersaal im Römer und der Paulskirche, den 600 Notabeln, die eine Nationalverfassung leimen, macht mir Übelkeit. Hoffentlich brauch' ich diese Stadt des Turmbaus zu Babel nie zu schauen, wo jeder verschiedene Zungen redet. Ich werde dieser Unheilstätte in weitem Bogen aus dem Wege gehen.«
»Aber es sollen recht wackere Männer darunter sein«, suchte Johanna seinen Groll zu beschwichtigen. »Unser König hat dies Parlament doch anerkannt.«
»Was blieb da übrig! Sämtliche schwatzhaften Professoren und Federfuchser dozieren dort auf dem Katheder. Ihr Fach heißt vermutlich Welt geschichte, denn von deutscher Geschichte haben sie so wenig einen Schimmer wie von Imponderabilien und Realitäten des historisch Gewordenen und des praktischen Lebens. In der Berliner sogenannten Nationalversammlung hat wenigstens einer einige Besonnenheit, ein gewisser Waldeck. Doch selbst die Achtungswerten müssen das Kauderwelsch der Beckerath, Vincke, Auerswald nachlallen und dem Plebs nach dem Munde reden. Der möchte aber in Revolution machen, und die Arbeitslosigkeit, da alles Gewerbetreiben stockt, steigert diese Mache. Der Handelsminister mag ein schönes Gesicht geschnitten haben, als er die Tumultuanten am 30. Mai mit zehn Groschen pro Mann ablohnen mußte. Ewig hängt das Damoklesschwert der Anarchie über diesem löblichen Bürgerparlament. Und dahinein hat sich der Prinz von Preußen wählen lassen als Abgeordneter für Wirsitz! Erinnere mich daran, Nanne, daß ich eventuell hinreise, wenn der tapfere Prinz aus England heimkehrt.«
»Er wird dich aber nicht kennen wollen, weil du so sehr als Ultra verschrien bist,« lächelte Johanna.
»Das ist eigentlich eine Verleumdung. Natürlich hat die tobende Demagogie mein Standesbewußtsein gereizt. Es treibt einem die Galle ins Blut, wenn man den Adel fortwährend als Herde von Trotteln, ungebildeten Knoten und rohen Volksverächtern denunzieren hört. Aber mich einen Erzjunker schimpfen, der ein Adelsregiment aufrichten wolle, verrät nur blinde Unkenntnis. Jawohl, ich denke höher von unseren Leuten, die wahrlich besser sind als ihr Ruf, aber Geburt galt mir nie als Ersatz für Tüchtigkeit. Mag sein, daß von Mutter selig her ein gut Teil Bürgerblut in mir steckt. Wie denken sich die Schreihälse denn unsereinen, der meist mehr gelesen, studiert und vom Leben gesehen hat als sie! Man zeige mir nur Bürgerliche von staatsmännischer Bedeutung, und keiner wird ihnen freudiger das Knie beugen als ich. Aber ich stehe und warte, bis mir die Beine krumm werden. Ludolf Camphausen, unser heutiger Staatslenker, ist auch nur einWindmacher, und jeder Leutnant, der seine Pflicht tut, ist mir menschlich lieber als diese Professionspolitiker.« –
Am 7. Juni stand Otto am Genthiner Bahnhof in den hintersten Reihen, als Prinz Wilhelm einige Minuten auf dem Bahnsteig weilte und Begrüßungen entgegennahm. Aber der feste, scharfe Blick des fürstlichen Soldaten, der rasch die Reihen überflog, erkannte ihn. Er schob die Vornstehenden beiseite und reichte ihm herzlich die Hand. »Mein lieber Bismarck, ich weiß, Sie waren für mich tätig, ich werde Ihnen das nie vergessen.« Otto errötete vor Freude. Beide hatten sich dabei fest angesehen. Was meinte der Prinz? Von jener Unterredung in Potsdam und von der seltsamen Verhandlung mit Vincke hatte Otto sich
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