Bismarck 01
mir ein Höherer verzeihen. Von Menschen erwarte ich keine Verzeihung, und ihre Verdammung ist mir so schnuppe wie ihr Lob.«
»Ein bedeutendes Selbstgefühl!« warf Oriola spitz hin.
»Keineswegs. Nur ein bedeutendes Scham- oder Nichtsgefühl. Denn daß meine werten Nebenmenschen kein Jota besser sind als ich, steht mir fest. Und an diese kompakte Masse von Idioten und Übeltätern soll ich glauben? unter dem Kollektivbegriff ›Menschheit‹, der ebenso vag und verschwommen klingt wie ›Volk‹? Nichts da! Auf Vervollkommnung hoffen, gerade in unseren Tagen, scheint mir unfaßbar. Die Revolution faselt ja von Menschenglück und hat mehr Blut, Vernichtung, Tränen gekostet als jeder Absolutismus.«
»Da sind wir wieder bei unserem Steckenpferd!« rief Vetter Fritz fröhlich, um das peinliche Gespräch abzubrechen. »Besser als ein liberales Schaukelpferd. Wie war's gestern bei Schwarz in der ›konservativen Bierstube‹? Königsberger Klops soll dort gut sein.« –
*
»Seit gestern sind Sie also Seiner Majestät allergetreueste Opposition!« begrüßte ihn Minister Otto v. Manteuffel, der zum Geburtstag seiner Frau ein Fest gab. Bei nicht immer statthafter Einstimmigkeit im Ministerium, bei dem Streben, sich möglichst mit Kammerbeschlüssen in Einklang zu setzen, mußte das Ministerium Brandenburg auch mal Wege wandeln, die ein Mann der Rechten als krumm auffaßte. Der Minister kniff blinzend ein Auge zu, als wollte er andeuten: Wir zwei beide verstehen uns sehr gut. Seine Gemahlin erkundigte sich warm nach Frau v. Arnim.
»Ich war neulich mit ihr in der Kirche bei SuperintendentBüchsel. Predigt sehr gut, nur etwas extemporiert, doch meinen gnädigste Frau nicht auch, daß das Mitsingen der Gemeinde und bloßer Knabenchor ohne Orgel nicht so recht würdig wirken? Eine katholische Messe mit Weihrauch, Kerzen, weißgekleideten Priestern macht einen stärkeren Eindruck.«
»Ei, ei! Ich hielt Sie für einen strammen Protestanten.«
»Bin ich auch, doch habe leider einen – wie soll ich sagen – künstlerischen Tick.«
Beim Rundgang durch die Salons stieß er auf General Gerlach, der ihn rasch in einen Winkel zog.
»Man sieht Sie ja jetzt so äußerst selten bei Hofe.«
»Ich dränge mich nicht auf. Auch möchte ich nicht mit Radowitzerei in Kollision geraten.«
»Gut, daß Sie dem einheizen. Weiß doch keiner, an wen der glaubt! Wo steuert er hin?«
»Unter uns gesagt, mir kam der Verdacht, daß er als Katholik im Sinne Österreichs arbeitet, um Preußen an Wahrnehmung reeller Interessen zu hindern, bis die katholische Vormacht wieder in deutschen Dingen mitreden kann.«
»Nicht unmöglich. Der höchste Herr schwelgt ja in mittelalterlichem Kostümgeschmack, und da dient er als sachverständiger Garderobier. Sie stellen miteinander historische Reichsforschungen an, z. B. welche Sitze im künftigen Reichstage den Regierenden oder den Mediatisierten anzuweisen wären. Bei der Kategorie der Reichsunmittelbaren ist z. B. der Freie Standesherr v. Grote eine wichtige Spezialität, über die Radowitz sich sehr gelehrt verbreitet.« Beide lachten sich an.
»Worauf beruht sonst die Vorliebe Seiner Majestät für diesen glatten Höfling?«
»Ja sehen Sie, Liebster, der König hält seine Minister und mich für Rindvieh, weil wir ihm mit Praktischem lästig fallen. Er traut sich nicht zu, uns folgsam zu machen, glaubt auch, keine Tauglicheren finden zu können, und verläßt sich daher auf einen Privatratgeber, der auf alle seine Ideen eingeht. Seit Radowitz die berühmte Broschüre schrieb, hält er ihn für den großen Restaurateur der deutschen Garküche. Dazu kommt ferner dessen präzise Redweise, die immer das Schild mathematischer Logik heraushängt. Das imponiert Seiner Majestät so sehr verschiedener Denk- und Redeform. Gerade weil Radowitz keine Gedanken hat, glückt es ihm, jedem Widerspruch mit dem König auszuweichen und sich so anzustellen, als habe er haarscharf und nüchtern das nämliche gesagt, was der hohe Herr meinte. Deshalb –«
»Ich verstehe, deshalb hält er es für die Probe aufs Exempel, daß der ihm entgegengesetzt Veranlagte zum gleichen Ergebnis kommt. Solche Streiflichter hinter den Kulissen beleuchten manches Dunkel. Vermutlich nährt auch Radowitz die angeerbte Loyalität des Königs für den einstigen Lehensherrn, die Habsburger Dynastie.«
»Sehr wahr. Das sind mittelalterlich feudale Rücksichten, die einem preußischen Kavalier das Herz im Leibe zusammenpressen«,
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