Bismarck 01
auch mild und schonend von Natur, so ist doch was Gefährliches in mir, das ich zu scheuen bitte.« Und der Streitbare wurde doch gewählt, nachdem er über die jämmerlichsten persönlichen Eitelkeiten zeterte und »Tag und Nacht dich, mein Engel, und deine Sorge und das kleine Wesen«, das Keuchhusten hatte, im Herzen trug. Der liebe Gott steckte die Zuchtrute wieder hinter den Spiegel. Otto dampfte erneut nach Reinfeld ab, von wo er erst wieder nach Eröffnung der Kammer abfuhr. In Berlin beschäftigte er sich drei Tage mit einer häuslichen Angelegenheit, die Amme Friedrike betreffend.
Hans v. Kleist-Retzow wohnte mit ihm im selben Gasthof und wurde sehr zutunlich. »Früher machten Sie mich immer kopfscheu, lieber Otto, Sie haben manchmal so was Sonderbares. Aber jetzt weiß ich, daß Sie ein gemütlicher Christenmensch sind.« Um ihm seine Anerkennung durch die Tat zu beweisen, weckte er Otto jeden Morgen aus dem besten Schlaf, und las ihm aus Geßners Schatzkästlein vor, nebst gesund-nahrhafter Morgenandacht. Retzow war klein und von schon ältlichem Aussehen, alles an ihm grau, Haare und Rock. Bei aller Frömmigkeit fehlte es ihm nicht an streberhaftem Ehrgeiz, weshalb er sich in die nunin Berlin sitzende neue Deputiertenkammer wählen ließ und von Ottos politischem Einfluß auch einige Brosamen für sich selber erwartete. Der kleine Mann tyrannisierte den Hünen, der sich dies mit der Gutmütigkeit eines Neufundländer Hundes gegen ein Miezekätzchen gefallen ließ. Sie zogen zusammen in eine Wohnung, Friedrichstraße 70, Ecke Taubenstraße, wo aber Otto sich selten aufhielt, weil er wie ein gehetztes Wild umherlaufen mußte, von allen Seiten in Beschlag genommen. Stöhnend las er sich solch ein Tagesbudget vor: »Um 9 Uhr Ludwig Gerlach bei mir, um 10 Uhr ich zu Wagner auf die Redaktion, um 11 Uhr Kommissionsausschuß, um 1 Uhr Kammersitzung, um 2 Uhr Rendezvous mit Leopold Gerlach, um 3 Uhr Diener bei Voß, um ½5 Uhr bei Manteuffel, um 6 Uhr Fraktionskonferenz im Rheinischen Hof, um 7 Uhr Abfahrt nach Potsdam zum Tee bei Prinzeß Augusta. Uff! Wie soll das enden?«
Die Schwiegermutter, die überall Nebenbuhlerinnen Johannas argwöhnte, las auch in der Kreuzzeitung mit Unruhe von einer vornehmen Gesellschaft, wo er mit einer »auffallend schönen Engländerin« zusammentraf. Es war dies Lady Jersey (ein Name byronischen Angedenkens), und sein gutes Englisch machte ihn freilich der Dame angenehm. Sie interessierte sich wie alle Ladies der regierenden Klasse für Politik und fragte ihn aus: »Unser Prinzgemahl schrieb doch an die deutschen Könige, sie möchten in Frankfurt persönlich mit dem Parlament dort verhandeln. Warum wollten sie das nicht?«
»Weil das Parlament nicht legal ist wie ein englisches, Fremde können unsere Innenverhältnisse nicht beurteilen.«
»O, Sie sind Hochtory, höre ich. Doch der Prinzgemahl ist liberal wie unsere Regierung und kein Fremder, selber ein Deutscher.«
»Und doch sieht er alles mit englischen Augen. Sein Vertrauter, Baron Stockmar, ist auch ganz in den Klauen unserer gelehrten Liberalen und möchte alles nach englischem Muster zuschneiden. Erst aber soll er uns schenken, was wir hier nicht haben: Englische Religiosität, Gesetzesachtung, Wohlstand, Commonsense. Dann mag man meinethalben regieren wie dort, sonst nicht. Wir haben keine so begüterte mächtige Aristokratie, die das Gleichgewicht in der Verfassung hält. Das Volk wuchs in England erst sehr allmählich in die Parlamentswirtschaft hinein, und ein wahres parlamentarisches Leben, wie wir auf dem Kontinent es auffassen, begann erst nach der Reformbill vor nicht mal 20 Jahren.«
»Oh! Sie sagen, England hat kein richtiges Parlament früher gehabt?« wunderte sich die schöne Lady. Was diese Foreigners doch für sonderbare Schrullen haben!
»Sicherlich, früher gab es nur mehr oder weniger ein Adelsparlament, wo im Unterhaus die Städte lächerlich gering vertreten waren. Die Rotten Boroughs –«
Sie seufzte: »Ja, das war auch eine bessere Zeit. Wir haben viel verloren.«
Wenn die Leute bei uns nur eine Ahnung hätten, wie es früher in England aussah! dachte Otto. Nicht mal die Habeas-Corpus-Akte hat Castleragh respektiert. John Bull ist trotz aller Stiernackigkeit der langmütigste Philister. Bei uns soll alles holterdiepolter gehen.
Na, die Dame ist wirklich eine Rarität, wie aus einem Keepsake mit Goldschnitt in den Salon herabgestiegen. Man würde einen Reichstaler preußisch Kurant
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