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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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mußte er vierzehn Stunden ausschlafen, um sich zu erholen, erhob sich aber dann doppelt gestärkt.
    Was nicht der Mensch aushalten kann! Wer eine gute Natur hat, dem gibt's der Herr im Schlafe. Sollte das auch nicht so sein in geschichtlichen Dingen? Da gibt sich ein Held wohl mal einen besonderen Ruck und strengt sich übermenschlich an, etwa wie Luther in Worms, aber dann muß er gut ausschlafen können, wie Luther in der Wartburg. So ist nun auch dieser höchst ungeschichtliche, unbedeutende Otto Bismarck. Er kann sich furchtbar abplagen und auch unmenschlich faul sein, die Zeit verschlafen wie ein Klotz. Was soll man auch besser mit einer Zeit anfangen, wo kein Mensch uns braucht!
    Auch beim endlosen Redegeplätscher unter ihm, wo er als Sekretär auf hohem Präsidialthron neben dem ihm verhaßten Simson hockte, nickte er öfter sanft ein. Mal zankte der feierliche Gagern mit dem ungestümen Vincke, mal Bourgeoisliberale mit Proletarierradikalen zum Gaudium der Rechten, mal verdrehte der liberale Beseler dem konservativen Jesaias Stahl die Worte im Munde. Diesen alttestamentarischen Propheten verehrte die Fraktion als Führer und schätzte seine geistreichen Sophismen als Perlen, weil er sie vor demokratische Säue warf. Otto schrieb ihm ins Album: »Unsere Losung ist nicht Bundesstaat um jeden Preis, sondern Unabhängigkeit Preußens um jeden Preis.« Doch unter den Perlen des »geliebten Stahl« ahnte er manche falsche und sah voraus, ihre Pfade würden sich einst noch trennen. Was trennt sich nicht alles mit den Jahren! War er so sicher, daß Hans Kleist-Retzow, der kleine Streber, der hier jeden Abend in weißer Weste und Halsbinde Gesellschaften ablief, nicht auch mal von ihm abfallen könne? Die leidige Politik macht alle Menschen zu Phantomjägern, und doch ist das Privatleben viel ernster und wichtiger. Dem guten, kleinen Massenbach das vierzehnte Kind geboren, dem armen Egloffstein der einzige Sohn gestorben von eigener Hand, junger Kürassierleutnant, aus grundloser Hypochondrie! So häufen sich die Gegensätze, und wir mittelmäßigen Söhne dieser Erde müssen froh sein, wenn unser bescheidenes Dasein still und friedlich verfließt.
    Nur einige aufmunternde Scherze erfrischten die Dürre dieserakademischen Debatten, worin Gagerns hohles Gemurmel vorherrschte. Als Jurist Simson den Präsidentensitz einnahm, flocht er die geschichtliche Erinnerung ein, vor 1000 Jahren habe ein Reichstag hier getagt. Sein Sekretär aber ergänzte dies mit ernst harmloser Miene, der damalige König der Deutschen habe auf die Tagesordnung gesetzt, Juristen und Winkeladvokaten zu züchtigen, die laut dem Chronisten Spangenberg viel Unheil anrichteten. Unter donnerndem Beifallsgelächter der Rechten über diese boshafte Anspielung fuhr er fort: Wenn der heutige Reichstag diesen Zweck verfolge, ja dann werde er glauben, daß die Raben am Kyffhäuser nicht mehr flattern und der Tag deutscher Einheit nahe sei. Ihm würde übel von der verwickelten Maschine fürstlicher Kollegien, die den fadenscheinigen Rock französischer Konstitution über die ungefügen Schultern Deutschlands werfen sollte. Das alles werde auf Depossedierung des Preußenkönigs in seinem eigenen Lande hinauslaufen.
    »Wenn ich das Schwarzrotgold auf allen Sesseln und auch dem meinigen sehe, dann sehe ich rot, so steigt mir das Blut zu Kopfe,« bekannte er zu Stahl, »Schwindel wie alles, denn diese Farben sind nie die des deutschen Reiches gewesen. Weit eher der schwarze Adler auf weißem Feld, wie der deutsche Orden, dies Sinnbild des Reiches, ihn vom Kaiser auf die Fahne erhielt und den heut wir Preußen führen, statt des Schwarzrotweiß von Kurbrandenburg. Wir also sind die wahren Erben des deutschen Reiches.«
    Seine tiefe Kenntnis der deutschen Geschichte überraschte immer wieder den gelehrten Stahl, der sich nachdenklich fragte, wo der bescheidene Gutsherr von Schönhausen, der nicht mal sein Hauptstaatsexamen bestand, das alles aufgelesen habe. Es fiel ihm ein, wie die Minister des ersten Konsuls sich über den Korsen wunderten, der alles wisse und doch nichts studiert haben könne. Daß alle schöpferischen Geister in gewissem Sinne Autodidakten sind und sein müssen, weil sie unüberwindlichen Widerwillen gegen die ausgetretenen Gleise haben, zu solcher Erkenntnis versteigt ein Professor sich freilich nie. Es gehört mit zum ewigen Kapitel menschlicher Blindheit, daß nicht einer in Parlament und Presse über den Schönhauser anders urteilte, als

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