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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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kulinarische Gaben Hannas, Marzipan, Spickgans, Kibitzeier und dicke Würste. Dazu allerliebste Aussicht auf den Thüringer Wald, wenn er auf der Höhe unter alten Eichen lustwandelte. Leider hing sich ihm dabei ein Abgeordneter und Hofmann v. Röder an, ein braver, unbedeutender Mann, der bei Sonnenuntergang regelmäßig den nassen Jammer bekam, Volkslieder und Heine zitierte und sich nach einer »lieben, guten, frommen Frau« sehnte. »Sie, Verehrtester, besitzen solch ein Kleinod. Beneidenswerter! Doch Politiker wie Sie haben eben andere Ideale.« Otto erwiderte nichts und vertiefte sich in Betrachtung der niedlichen grünen Blätter von Haselnußstauden, Hagebuchen, Dorn- und Weißbuchen. In der Ferne rief ein Kuckuck, und er machte sich den Scherz, dies Orakel zu befragen, wie lange es wohl noch mit der deutschen Einheit dauern werde. Doch der spöttische Vogel riefso lange und so unregelmäßig, daß man nicht daraus klug werden konnte, ob er wirklich zehn oder zwanzig Jahre meine.
    Wenn er vor dem dreifachen Lärm der Vormittagssitzungen in der Augustinerkirche, der mittäglichen klappernden Table d'hote und des abendlichen Gezänks vom Scheusal Fraktion müde in das unscheinbare Häuschen flüchtete, wo er wohnte, ging ihm der Gedanke an Luther durch den Kopf. Der hatte hier in der Universitätsbibliothek zuerst die Bibel entdeckt, in der Augustinerkirche die erste Messe gelesen. Wer hätte dem kleinen, hageren Mönchlein damals prophezeit, er werde deutschen Geist vom römischen Joch befreien! Wunderbar verschlungen sind Gottes Wege, niemand weiß, was aus einem Menschen werden kann. Er erinnerte sich spöttisch, wie der eitle Heine irgendwo sich in der Hoffnung wiegte, zum Haus in der Düsseldorfer Bolkerstraße, wo er geboren, würden englische Touristinnen wallfahrten. Gottlob, daß die Ruhe des Privatlebens, wo man nur gelegentlich in die Arena hinabsteigt, durch solche Eitelkeiten nicht getrübt wird. Gottlob, daß niemand in Luthers Erfurt eine Tafel über diese Haustür hängen wird, weil ein obskurer Abgeordneter dort ein- und ausging. Diese Erfurter Langeweile muß noch überstanden werden, dann aber Schluß!
    »Hätten Sie Lust, mit mir Auerhähne zu schießen?« lud ihn Oberforstmeister Wedell ein, der an dem baumlangen Recken einen weidmännischen Gefallen fand. Geheimrat Oppermann, ein großer Nimrod vor dem Herrn, regte die Partie an. »Beim berühmten Oberförster Klingner, dem erprobten Hahnenjäger, kriegen wir Auerhahnbalz wie noch nie«, frohlockte er in Arnstädt, wo er mit Bismarck ein üppiges Frühstück von schmackhaften Schmerlenfischen und vierzigjährigem alten Wein aus Bocksbeuteln einnahm. »Der Nektar stammt aus dem Kometenjahr 1811. Das hatte es in sich, Vorbedeutung von Napoleons Untergang und Deutschlands Befreiung. Heut erleben wir so was nie wieder.« Da aber Otto vorm Schlafengehen in Schleusingen diesmal Forellen in Bier tauchte, befand er sich bald in traurig eruptivem Zustand, da sein verwöhnter Magen die ungewohnte Kost nicht vertrug. »Nu grade nich!« Statt Pfefferminztee zu trinken und im Bett zu bleiben, ging er trotzdem mitternachts als Jäger los, wie einst nach durchkneipter Nacht zur Mensur. »Grog am Abend wird mich kurieren«, lehnte er ab, und Oppermann dachte: Der halsstarrige Trotz, den seine Gegner ihm zuschreiben, scheint kein leerer Wahn, wir Jäger erkennen das Wild am winzigsten Huftritt und so den Mann an Kleinigkeiten.
    Also auf nach einem Eisenhammer im Waldgebirge! Im Dunkel sahen die Werkleute dort wie dunkle Dämonen aus, vom Feuerschüren angeglüht. Der Regen fiel in Bächen, der schwarze Mantel behinderte beim Steigen im tiefen Dunkel auf abschüssig steilen Höhen, von denen himmelhoch Tannenwälder herunterstarrten, wüst und spitz wie Koboldmützen. Er mußte sich mitden Händen anklammern oder nach dem Arm des Jägers greifen, den er nicht mal deutlich sah. Rechts im Abgrund ein tosender Wildbach, links ein Teich mit schlüpfrigem Ufer. Einer Ohnmacht nahe legte er sich ins Heidekraut, das von Tau und Regen triefte. Lieber einregnen, als so weitermachen! Doch er raffte sich auf, fern balzte ein Auerhahn, einer kam ihm auch vor den Schuß. Im Dickicht schrie ein Uhu, und es war unheimlich. Da ging der Mond auf, die Luft klärte sich, Drosseln schlugen, Bergtauben gurrten mit eigentümlichem Baß, Buchfinken und Rotkehlchen trillerten im Chor. Als es bergab ging, dämmerte die Sonne, doch blieb sie verhangen im Regenflor, und in Erfurt

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