Bismarck 01
eine Kleinigkeit nötig wäre, nämlich ein großer Staatsmann. Und einen solchen wird uns der gute Bismarck wohl nirgends auftreiben. –
In der Kammer spottete der streitbare Schönhauser in aufsehenerregender Rede über die Ideologen, die für alle Opfer Preußens als Kompensation nur sein gutes Gewissen anböten. Großherzigkeit und Selbstlosigkeit seien eine Politik, die der jetzt häufig von der Linken zitierte Friedrich der Große nie gekannt hätte. Er würde sich zur Lösung des gordischen Knotens auf das eigentliche Wesen der preußischen Nationalität gestützt haben, das Schwert. (Seine Ausführungen gewannen hier eine bittere Ironie, die »oben« sicher übel empfunden ward, denn Friedrich Wilhelm hatte kürzlich sich entschuldigt, er sei nicht Friedrich der Große.) Die preußische Armee und das wahre preußische Volk betrachteten das berühmte Schwarzrotgold als Feindesbanner. Der Preuße kenne den Hohenfriedberger und Dessauer Marsch, doch kein Soldat singe: »Was ist des Deutschen Vaterland?« Wohl möge unser Adler seinen beschirmenden Fittich von Memel bis zum Donnersberg strecken, aber nicht gefesselt durch ein Stück Papier, das wie ein welkes Blatt im Wind verwehen werde.« Nach heftigem Murren und Zischen wehklagte der edle Beckerath: »Wo viel Licht, ist viel Schatten, das deutsche Vaterland muß auch einen verlorenen Sohn haben.« Worauf der schlagfertige Gegner: »Mein Vaterhaus ist Preußen, und der heimatlose Wanderer ist vielmehr der ehrenwerte Abgeordnete, dessen Heimathaus erst noch gebaut werden soll.«
Mit der gleichen eisernen Festigkeit parierte er eine ironische Äußerung des »jüdischen Präsidenten« Simson, daß der Name Junker unstreitig eine Beleidigung in sich schließe. Das sei so wenig der Fall, als ein Offizier sich beleidigt fühle, wenn ein Radikaler ihn einen Söldner nenne. Whig und Tory sei ursprünglich auch ein schmähendes Beiwort gewesen, und so werden wir den Namen Junker noch zu Ehren bringen.
Höhnisches Spotten antwortete. Heiter fragte Beckerath den Professor Droysen: »Wessen Namen will dieser Krautjunker wohl zu Ehren bringen? Den eigenen doch nicht?« Doch durch das Lachen, an dem man den Narren erkennt, dröhnte es wie ferner, dumpfer, unterdrückter Donner zum Wetterleuchten der blauen Augen.
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Seinen Wählern sprach Otto offen aus, daß Preußens Macht zugunsten der Kleinstaaten vermindert werden solle. So geschah es: Sachsen und Hannover fielen zu Bayern und Württemberg ab, Österreich spiegelte Beitritt mit allen seinen Staaten, d. h. sämtlichen Slawen und Madjaren, zum einigen Deutschland vor,eine höhnische Perfidie, über die der deutsche Michel gerührt quittierte. Es war ein froher Augenblick für Radowitz, als er den glänzenden Erfurter Reichstag mit einer unionistischen Rede am 20. März eröffnete. Aber Otto, der wohl oder übel ein Mandat übernehmen mußte und am 9. April in Erfurt eintraf, sofort vom Bahnhof in die Fraktion geschleppt, hatte einen recht peinlichen Augenblick, da ihm als jüngstem Mitglied das protokollierende Sekretariat zufiel.
»Meine Herren,« begann er zu Ludwig Gerlach und Professor Stahl, »Ihnen überlasse ich die Ehre des Kampfes. Sie sind weit beredter als ich und werden daher –«
»Was!« unterbrach ihn »Onkel Ludwig« entrüstet.
Otto nannte alle älteren Freunde herablassend Onkel, so hieß Kleist-Retzow »der kleine, graue Onkel«, wie er denn auch vertrauliche Benennungen anwendete, wie »Stadträtchen« für seinen Gutsnachbar Gärtner. Dabei war er aber so frei von jedem Standesdünkel, daß er und Hanna von Redakteur Wageners Frau als »Rose« sprachen und Wagener mit ihm auf kordialstem Fuße verkehrte.
Stahl putzte seine Brille und unterstützte Gerlach in Ausrufen der Entrüstung, daß der Schönhauser Recke eine Fahnenflucht antreten wolle. »Vor Gott und den Menschen haben Sie eine Pflicht übernommen.« Seufzend ergab er sich in sein Schicksal.
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Die Ferienpause in Schönhausen, nachdem Johanna Ende Dezember von einem Söhnchen Herbert entbunden, verlief nicht ganz sturmlos. Denn Mutter Puttkamer hielt manche Vorlesung über männlichen Egoismus, und er kehrte Ecken hervor, die sie als ungebührlich bezeichnete. Jetzt, zum Geburtstag Hannas (11. April) bat er brieflich an sie um Entschuldigung und dankte ihr für alle Sanftmut und Geduld, Liebe und Treue. Er ging einen Waldberg hinauf, den »Steiger«, und trank eine Steinkruke voll Felsenkellerbier leer. Später trösteten ihn
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