Bismarck 01
bestellten ihn zum Rendezvous nach Magdeburg bei L. Gerlach, wo sich mehrere österreichische adlige Herren auf der Durchreise einfanden. Man hatte den Plan gefaßt, sich nach Österreich zu begeben und dort Fühlung zu suchen. Otto riet davon ab, die Wiener versicherten in munter witziger Art, daß es »ssehr erfreilich, doch wennikg nitzlik ssein werrdeh. Denn schauens, bei uhns ischt ehs füll r'volutionärer als bei eich. Irr seid halt so ahngenehmeh Leit, daß Irr bessär singet: Dös geht uhns goar nix an!«
Ein Siebenbürger Baron Josica schwärmte sowohl für die gottselige Metaphysik von Stahl als für den Ungarnschlächter Haynau. »Err ihs auf meiner Ärre aussgezeuchnet.« Der kluge Hans schwärmte seinerseits von einem Polizeirat Stieber, den er entdeckt habe und der hoffentlich bald aus der Versenkung auftauche, um sein ruhmreiches Wirken zu beginnen. »Der macht nicht viel Federlesens, er hat ein Gift auf alles, was liberalisch riecht, er wird den Kerls auf die Spur kommen und sie aus ihrem Schlupfwinkel ausräuchern. Auch wird's erst besser, wenn mein Freund, der Geh. Justizrat Simon, das Portefeuille für Justiz bekommt.«
»Ja,« bekräftigte Wagener, »der ist unser Mann, mit dem geht man sicher.«
»Noch ein getaufter Jude!« brummte Otto.
Der herrliche Hans blickte würdevoll auf. »Wie kannst du nur an solchen Vorurteilen kleben! Mit der heiligen Taufe ist aller Sündenfall ausgelöscht.«
»Wasser tut's freilich nicht. Pardon, das ist von Luther.«
»Der teure Gottesmann hat es nicht so gemeint, verlaß dich auf mich! Gewiß haben die Juden unseren Herrn und Heiland gekreuzigt, aber solches war vorbestimmt, und sie bleiben doch das auserwählte Volk des Alten Testamentes. Ich weiß mich eins mit den Spitzen unserer hohen Geistlichkeit. Unser großer Stahl und Simons sind wahre Leuchten in Israel, ich meine im evangelischen Volk Gottes.«
Otto dachte sich seinen Teil über zunehmenden Pastoreneinfluß. Politiker in langen Kleidern, ob Priester, ob Weiber, o jeh!
Gerlach war, wie gewöhnlich, aufgeregt. »Radowitz Premier! Und Schleinitz geht!«
»Der war ohnehin eine Drahtpuppe«, zuckte Otto die Achseln. »Ernster nehm' ich's, daß Polte sich vom König trennen will.«
»Mein Bruder muß bleiben!« brauste der Präsident auf. »Sonst haben wir keinen von unseren Leuten mehr am Hoflager.«
Otto gähnte. »Hol' der Henker die Politik! – Ich habeScherereien mit der Wirtschaftsmamsell, kündige meinem Gärtner Kahle, habe Ärger mit Viehfutter, und viel Kartoffelkrankheit. Mein Kleinwild haben die verschiedenen Jagdpächter weggeschossen, die Hirsche will mein Gutspächter in der Heide nicht dulden. Man hat sich wirklich totzuärgern.«
»Deshalb haben Sie keinen Ärger mehr übrig für die Staatswirtschaft? Wenn auch Manteuffel abgeht –«
»Mein Weizen ist all mein Stolz«, fuhr Otto unentwegt fort. »Dichtgeschlossen, höher als ich mit der Hand langen kann. Obst hatten wir viel. Von netten Pflaumen sitzen zwar nur noch ein paar saftigblaue, doch im Treibhaus werden wir hübsche Trauben haben, reif ist heut erst die gemeine grüne Art. Kürbisse haben wir fabelhafte, ihre Ranken hängen auf die Terrasse herab.« Für nichts anderes war er zu haben.
*
In Schönhausen saß er vor dem leeren Kinderbettchen. Es war so still, daß man draußen die Kastanien in abgemessenen Zwischenräumen fallen hörte. Es verlangte ihn unendlich nach Frau und Kind. Mehlsuppe, Schinken, Eier und Treibhausfeigen aus Langeweile in Masse als Abendmahl verschlingen, erfordert den Trost der Rumflasche. Seine Schwiegereltern schloß er auch sehr ins Herz, »Väterchen« mit dem grauen Bart, den er sich abrasieren lassen wollte, und sein »liebes Mutsch« studierte soeben Macaulays Geschichte Englands, die Verräterin, um ihre Verfassungstreue zu stärken. Da hockt man nun als einsamer, trauriger Strohwitwer in den leeren Stuben, bildet sich zum Kettenraucher aus und muß sich bei Tage mit neugierigen Schafen, sogenannten Regierungsräten, herumquälen, die nicht wissen, was sie mit ihrer leeren Zeit anfangen sollen und sich ihr Gehalt damit verdienen, daß sie ihre Aufsichtsnase in Deichsachen stecken, von denen sie einen Dreck verstehen. Im verglimmenden Kaminfeuer sah er allerlei Gespenster von nahendem Unheil.
Um sich zu zerstreuen, fuhr er zum Gutsnachbar Wartensleben. Die Gräfin war eine angenehme Wirtin, ihre Töchter waren auch anwesend, Frau v. Rochow aus Perleberg und Frau v. Bülow aus
Weitere Kostenlose Bücher