Bismarck 01
moralischen Eroberungen zu schwärmen! Die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lassen, überall flößen wir Abneigung und Mißtrauen ein, unsere besten Absichten werden verkannt. Da scheint mir vorzuziehen, daß wir auf die schätzbare Sympathie verzichten und uns lieber an die erzwungene Achtung halten. Wer liebt denn die Engländer! Aber wo man sie haßt, da fürchtet man sie, und aus solcher Achtung, aus Furcht keimt nachher ein Wunsch, sich vor der eigenen Selbstachtung zu rechtfertigen und im Gefürchteten allerlei Großartiges zu ehren. Daher das Getue von der englischen Kulturmission, mit der es gar nicht so weit her ist, denn mit Seife und gestärkten Hemdkragen allein zivilisiert man doch nicht das Erdenrund. Nicht um Liebe betteln, sondern Achtung einbläuen, mächtig werden, dann bekommen wir auf einmal die erhabensten Eigenschaften.
*
»Gestatte mir, mich bei Ew. Exzellenz anzumelden«, stellte sich ein junger Attaché vor, vorschriftsmäßig die Hacken aneinanderschlagend. Rochow verreiste auf acht Tage nach Warschau in politischen Angelegenheiten, und sein Wirklicher Legationsrat vertrat ihn. Der andere, aus Berlin beigegebene Geheimrat v. Gruner war Liberaler auf Leben und Tod wie die meisten höheren Bureaukraten, konnte den Schönhauser Junker nicht ausstehen und packte übrigens schon seine Koffer, um selber bei Rochows Scheiden mit diesem zu verschwinden. Außerdem befand sich noch hier ein alter Legationsrat, Otto Wentzel, der die Kanzlei unter sich hatte und bleiben sollte. »Dieser Herr Spätaufsteher hat manchmal trotzdem Gold im Munde, er spricht und schreibt fein, doch für unsere zähe Bundesakte ist er zu träge und hat von äußerem Schliff der Gesandtenturnüre noch keinen Schimmer,« urteilte Rochow, der über eine scharfe Zunge verfügte und Ottos spätes Aufstehen wegen zu langer nächtlicher Lektüre als groben Verstoß gegen preußische Pünktlichkeit verpönte. Bei den sachgemäßen Vorträgen über formalen Geschäftsgang, die er auf allerhöchsten Befehl dem Anfänger halten mußte, fiel ihm jedoch dessen blitzschnelles Begriffsvermögen auf, und er bildete sich heimlich eine günstige Meinung.
»Pst, ich bin noch nicht Excellenz. Graf Lynar, nicht wahr?Sie sind uns amtlich zugeteilt, um sich in diplomaticis umzutun.«
»Unter Ihrer bewährten Leitung – – «
»Oho, die ist noch gar nicht bewährt. Für Ihren schönen Zweck kommen Sie hier übrigens an die unrechte Schmiede. Nicht mal als Kocheleven möcht' ich Sie engagieren. Hier lernt man nur Wassersuppe kochen.«
»Ich verstehe nicht recht – – « Der junge Graf, intelligent, anständig und wohlerzogen, doch etwas verlegen und unsicher, weil tiefbescheiden, wußte nicht recht, wie er sich diesen burschikosen Hünen auslegen sollte, der in gelbem Schlafrock in seinem Hotelzimmer umherwandelte.
»Nu so! Wer weiß nicht, daß überall mit Wasser gekocht wird, sogar mit schmutzigem Wasser! Doch so 'ne nüchterne fett- und salzlose Wassersuppe wie die hiesige superkluge Charlatanerie ist mir noch nie vorgesetzt worden. Ich hab' meiner Frau geschrieben, sie soll mir ein paar Schulzen aus Hinterpommern herschicken, mit der Falstaffgarde will ich hier Staat machen wie mit den sieben Weisen Griechenlands. Sie speisen mit mir an der Table d'hote, wenn ich bitten darf, da werden Sie noch die zwei anständigsten Exemplare treffen, Schele von Hannover und Oertzen von Mecklenburg. Ab« der Rest: Les beaux restes endloser Amtstätigkeit im Nichtstun!«
»Aber man glaubt doch, hier werde sozusagen Deutschlands Schicksal verhandelt.«
»O, mein lieber Herr Attaché!« Bismarck schlug eine bittere Lache auf. »Sie als preußischer Edelmann leben in dem Wahn, daß männiglich seine Schuldigkeit tun müsse. Aber die Exzellenzen hier bestehlen nur den armen Steuerzahler, sie sind nicht das Papier und die Tinte wert, mit der sie ganze Bogen vollschmieren, sogenannte Gesandtschaftsberichte über nichts und wider nichts. Ich bin auch nicht besser. Ich habe schon mehrere Leitartikel ans hohe Ministerium gesandt, nur zu lang, um in einer Zeitung für Staats- und gelehrte Angelegenheiten zu erscheinen. Wenn der Premier mir nachher sagen kann, was eigentlich drinsteht, dann zahl' ich ihm 10 Taler preußisch Kurant. O, ich mache reißende Fortschritte! Was ist das diplomatische Metier? Eine Art Nebenressort des Journalismus, nämlich die Kunst, mit einem riesigen Wortschwall kein vernünftiges Wort zu sagen und zu verdecken, daß man
Weitere Kostenlose Bücher