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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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wollen uns mal die berühmte Paulskirche besehen.« –
    Die St. Pauligemeinde ließ in wahrhaft religiöser Ehrfurcht ihr zum Parlament geweihtes Gotteshaus unangetastet, nachdem die Pfingstapostelzungen dort längst verklangen. Die schwarz-rot-goldenen Fahnen nickten noch von den Pfeilern herunter. Statt der seit lange verrosteten Orgel schien wie der Geist Gottes über den Wassern die majestätische Stimme Gagerns oder Wilhelm Jordans noch über den leeren Bänken zu schweben. Die Kustodin trat sofort heran: »Wünschen die Herrschaften das Schreibpult des großen Märtyrers Robert Blum zu sehen? Wünschen Sie eine Reliquie?« Sie bot großmütig ein Messer an. »Manche Herrschaften schneiden sich auch von Trützschler ab, welcher selbige in Mannheim den Märtyrertod erlitt, von preußischen Schergen füsiliert.« Sie plärrte diese eingelernte Lektion eintönig herunter, wie ein Kastellan in fürstlichen Schlössern.
    »Danke ergebenst, behalten Sie Ihr Messer, liebe Frau.«
    »Ah, die Herrschaften sind mehr für Auerswald und Lichnowsky! Selbige Herren erlitten den Märtyrertod durch Kugeln von Schelmen, welche die gute Sache schädigen wollten. Selbige Märtyrer waren gemäßigt, Liberale, tiefbetrauert von der Mehrheit der hohen Versammlung, so da tagte in diesen für immer historischen Räumen«, sagte sie belehrend die weitere Lektion her.
    »Auch dafür haben wir keine Verwendung.« Die Frau sah ihn mit offenem Munde an. Was wollten diese Leutchen denn hier? Die von der Preißchen Reaktion mieden doch die Paulskirche wie eine schwarze Messe des Gottseibeiuns, aber wer weder zu Blum noch zu Auerswald beten wollte, was suchteder hier? Ein honnettes Trinkgeld löste ihr freilich insofern die Zunge, als sie knixend gestand: »Nix für ungut, die Herren! 's isch ja auch nüt mit de Pultdeckel, die sein alleweil nicht mehr echt. Die Leut' haben schon dreimal all das Holz abgeschnitzelt. Aber sehen's, Märtyrer sein Märtyrer, und man will akkurat dieselbigen Deckel han.«
    Beim Hinausgehen warf Otto einen düstern Blick auf die roten Quadersteine der Kirche. »Mir ist, als schwämme dies alles in Blut, verflossenes und künftiges.«
    »Wie? Ich dachte doch, das wäre für immer erledigt.«
    »Das? Was? Das war der Anfang, wir sind noch lange nicht zu Ende.« Sein wasserblaues Auge hatte einen seltsam verglasten visionären Blick, und er schüttelte sich wie in einem Schauer. Aber dann sagte er trocken: »Wir müssen uns in Wichs werfen, mein junger Freund, heut abend ist der große Ball beim englischen Gesandten zum Geburtstag der Königin Viktoria.« –
    Er hatte seine Wohnung jetzt privat verlegt, Hochstraße 45, wohin er seinen Attaché Lynar mitnahm, der mit ihm zusammenzog. Die Frau des Hausbesitzers, Kaufmann Krug, knixte mit freudigem Stolz: »Det is uns eene besondere Ehre. Ick bin nämlich Berlinerin us die olle Zeit, ick habe noch Frau Dutitren gekannt.« Diese Lokalgröße war jedem Alt-Berliner ans Herz gewachsen, und Otto deklamierte sofort die berühmte Anrede der Dutitre an den Altmeister in Karlsbad: »Jöttlicher Joethe, wer sollte dir nich kennen! Festgemauert in der Erden steht de Form, aus Lehm gebrannt!« Darüber mußte Frau Krug sich krank lachen. »Ne, Herr Baron, ik sage man bloß, über Berlin jeht nischt, un' wenn man 'n Landsmann sieht, det is doch janz wat anders, als die faulen Ausländschen hier.«
    Nachdenklich folgerte Otto: »Da schwatzen die deutschen Gelehrten von kosmopolitischer Weltverbrüderung und ist doch fauler Zauber. Das Heimat- und Stammgefühl ist vielleicht die stärkste menschliche Leidenschaft, nur schlummert sie latent und muß geweckt werden. Viele Deutsche bilden sich ein, sie seien darüber erhaben und liebten den Fremden brüderlich. Laß sie nur eine Weile im Ausland leben, dann umarmen sie den nächsten deutschen Grenzpfahl.«
    Die Frau nannte die Frankfurter Ausländer. Nennen Sie das Stammgefühl?«
    »Nein, verengtes Heimatgefühl. Wird es vernünftig erweitert, gewinnt es erst recht an Stärke. Ich bin gar nicht gegen Partikularismus, wenn das heißt, die Eigenart der engeren Heimat hochhalten. Wie kann der Bayer sich an der Elbe so heimisch fühlen wie an der Isar bei Leberknödel und Kalbshaxen und der Ostpreuße am Neckar, wo er keine grauen Bohnen findet! Aber Sie werden's noch erleben, lieber Graf – ich bin zu alt dazu –, daß der Hesse fühlt, auch ihm gehöre die Weichsel,und der Oldenburger, auch ihm gehöre der Main, daß alle Deutschen

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