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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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auch?«
    »Ich leugne es nicht«, bekannte der Jüngling. »Mir eine Quelle der Erhebung!«
    »Und warum ziehen Sie dann nicht die Konsequenz? Dann müßten Sie doch im demokratischen Lager stehen und sind doch ein militärfrommer, preußischer Edelmann, voll Pflichteifer für den bestehenden Staat.«
    »Das ist etwas anderes«, wandte Lynar verlegen ein. »Ideal und Wirklichkeit decken sich nicht, unsere heutigen Demokraten sind Scheusäler, und die alte Guillotinenrevolution war gewiß nicht nach Rousseaus Herzen. Kennen Exzellenz übrigens dessen Schriften?«
    Otto lachte. »Keine Kinderkrankheit, die ich nicht hatte. Merken Sie sich, junger Freund, ich habe unheimlich viel gelesen. Nihil humanum alienum a me puto. Kant kennen Sie wohl auch?«
    »O ja, ich versuchte ihn zu studieren, doch offen gestanden, wird einem da schwindlig.«
    »Dieser Architekt baut zu schmale Wendeltreppen und Bogenluken, eine über die andere, und sein Strebepfeiler verschwindet darunter, der kategorische Imperativ. Doch er ist da, fest eingegemauert. Das Wort wurde zur konventionellen Phrase mißbraucht, doch es ist tief. Daß es auf Tatsachen wurzelt, dafür haben wir Preußen das klassische Beispiel. Was machte aus dem genußsüchtigen, trägen Flötenbläser im seidenen Schlafrock, dem Ästheten und Belletristen, den eisernen Alten Fritz, der täglich, stündlich, minütlich sein Wohlbehagen opferte für sein Idol, den Staat, oder richtiger die von ihm erfundene nation Prussienne , dieser kategorische Imperativ? Und wo fand er den? Im eigenen Innern, nirgends sonst konnte er ihn lernen. Und seine ›Kerls‹, die ihm nacheiferten, haben's wohl von ihm gelernt? Mitnichten.Ja, großes Vorbild tut viel, dafür erweckte ja Gott die großen Männer, doch wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren, kein Alter Fritz kann den kategorischen Imperativ einpflanzen, wo er nicht schon im Keime steckt. Logik: in jedem Menschen steckt er, und daß er in uns Preußen klarer herausgehämmert durch die harte Not, das gibt meiner festen Hoffnung den Halt, daß wir allen überlegen sind.«
    »Aber damit geben Sie ja die Vervollkommungsfähigkeit der Menschennatur zu.«
    »Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er. Auch ich bin dessen gewürdigt worden und preise meinen Gott, daß ich elender Sünder viel Leid ertrug. Aus der angeborenen Elendigkeit und Sündhaftigkeit kann uns nichts erretten als die Gnade Gottes, die uns erzieht, sehr streng, aber sehr liebevoll. Wehe dem Unglücklichen, dem kein Leid geschickt wird! Er ist verworfen vor Gott als unwert der göttlichen Gnade.«
    Der Jüngling starrte ihn verständnislos an. »Exzellenz reden für mich Chaldäisch. Braucht es dazu einen Gott? Der Mensch ist eben ein höheres Wesen, das sich selbst zum Idealismus erzieht.«
    »Kreuzmillionendonnerwetter! Der Mensch ist eine Kanaille, rund herausgesagt, seine schrankenlose Selbstsucht stellt ihn unter das Tier. Im geheimen freilich, im Innersten«, Bismarck schaute starr in die Ferne, das Wort vom »Unbewußten« konnte ihm damals nicht geläufig sein, »da lebt etwas anderes. Das ist nicht er, das ist Gott selber, der in allen ist. Denn in ihm leben, weben und sind wir, sagt der tiefe Apostel Paulus, ein gottbegnadeter Seher. Wenn es gelingt, die harte Rinde zu schmelzen, die das Ich bedeutet, dann gibt es eine vulkanische Eruption. Dann tritt der Mensch in die Freiheit ein, in das göttliche All. Wohl dem Menschen, wohl dem Volke, das eine solche Entladung erlebt! Dann erschauen wir die Wahrheit, weil wir Gottes Kinder sind.« Er sprach ruhig und bedächtig, doch sein großes Auge glänzte wunderbar. »Solche Prüfung der Gnade wünsche ich dem geliebten Volk der Deutschen. Und da wir von Kant sprechen, so werden Sie sich wohl erinnern, daß dieser große Denker sprach: zwei Beweise gebe es fürs Dasein Gottes, das unbeschriebene Sittengesetz in uns, der Sternenhimmel über uns. Blicken Sie hinauf! Als Bonaparte von Ägypten seinem Weltschicksal entgegenfuhr, dozierten ihm seine famosen Physiker, die er zur Armee mitnahm, den Mechanismus des Universums, daneben natürlich auch das ›öffentliche Geheimnis‹, daß nur Egoismus allein alle menschlichen Handlungen erkläre. Beiläufig stimmt dazu wunderbar, daß die radikalsten Enzyklopädisten, wie Holbach und Diderot, die selbstlosesten, edelsten Menschen gewesen sind. Natürlich auch aus Egoismus, weil ihnen das Wohltun Vergnügen machte, oder wie ihre Lehrer, Friedrich der Große und der alte

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