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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Bibel zur Hand nehme, das Evangelium Johanni, und an die Ewigkeit denke. Im Anfang war der Geist, und der Geist war bei Gott, und Gott war der Geist. Und wir? Wie sagt der Psalmist? »Das Leben fährt dahin wie ein Strom, wie ein Schlaf, wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz.« Bin ich schon wie ein Gras, das bald welk wird, wie herbstliches Laub? Das kann nicht sein, denn was mir damals groß schien, ist heut klein, auf was mein Aberwitz herabsah, groß: ein fromm Gemüt wie das von Nanne. Hier hab' ich gesessen mit der Britin. Wo die wohl ihr hohles, schales Herz heut herumtreibt! Der Kelch ist leer, der Champagner war Gift, selbst die schale Neige hat mich damals vergiftet. Unser Vater im Himmel, wie dank' ich dir, daß nicht die winzigste Narbe mich an die Wunde erinnert mit ihrer Blutvergiftung. Die Menschen leben so hin ohne Gott wie ein galizischer Jude, der nie sein schmutziges Hemd wechselt und sich wohlfühlt bei den Läusen im Kaftan. Ich bedarf mehr Reinlichkeit, und wäre mein Leben schmutzig, dann zög' ich es aus. Laß sie intrigieren und spionieren, mich finden sie doch nicht aus. Ich bin allein, aber allein mit Gott ...
    In der Ferne spielte die Kurkapelle im offenen Konzertsaal die neunte Symphonie, in der Ferne ging die Sonne über dem Taunus unter. Und über der hohen Gestalt des Einsamen, der in die Ferne schaute, wehte ein mystischer Schauer. In den Lüften lag eine Stimme: Der kommt am weitesten, der nicht weiß, wohin er geht.
    *

»Wir betrachten Sie ganz als einen der Unsern!« zeichnete ihn die Großfürstin Olga, auf Durchreise nach Baden-Baden, auf einem Fest der russischen Gesellschaftskolonie huldvoll aus. »Man kennt bei uns Ihre echtrussische Gesinnung und Ihre guten Grundsätze. Der allergnädigste Zar geruhte noch neulich zu äußern: ›Jetzt, wo die Jakobinerbrut in Preußen niedergeschlagen, wird dieser brave Staat wieder ein Bollwerk des göttlichen Rechtes sein.‹ Und dabei fiel Ihr Name.« Den Gesandten der französischen Republik würdigte sie keines Blickes, gegen Thun war sie mokant, diese weibliche Privatpolitik wurde natürlich als hochoffizielles Programm aufgefaßt. »Preußen stützt sich auf Rußlandwie zuvor«, wisperten die diplomatischen Geheimnistuer einander zu. »Verstehen Sie die turmhohe Freundschaft der Dynastien!« Thun lächelte ironisch, er wußte recht gut, daß der Zar zwar den armen Preußenkönig wieder zu Gnaden annahm, aber mit väterlichem Wohlwollen den Kaiser Franz Josef als seinen Schützling betrachtete und es nie mit Österreich verderben wollte. Wenn die Russen sich nur nicht schneiden! überschaute Bismarck die Lage. Bei einem neuen Türkenkrieg wird Österreich den Wechsel nicht einlösen, den Rußland auf die Dankbarkeit zieht, und wir haben zurzeit nur Interesse daran, uns äußerlich mit Österreich gutzuhalten. Er hielt für nötig, Thun unter dem Vorwand einer gemeinsamen Landpartie nach der Taunusgegend einen Vortrag aufzudrängen, daß nur durch engsten Zusammenschluß der drei Monarchien ein Wall gegen die westliche Demokratie zu errichten sei, und daß er sich demnächst bei Seiner Durchlaucht dem Fürsten Metternich in Johannesburg über Erneuerung der Heiligen Allianz Rats erholen werde. Er sprach so eindringlich und ernst, daß alle auswärtige Politik einzig der Politik gegen den inneren Feind unterzuordnen sei, bis Thun zur Erkenntnis kam: »Den hab' ich überschätzt. Im Grunde doch nur ein ritterlicher Schwärmer. Uns kann so 'ne heilige Allianz nur passen, um Preußen kaltzustellen und um jede Sympathie des Volkes zu bringen.«
    Als Otto mit dem jungen Lynar nach Rüdesheim weiterfuhr, um sich auszuspannen, hatte er den Kopf noch voll der Besorgnis, Österreichs stets reger Argwohn werde zu früh geweckt werden, wenn Rußland durch scheinbare Protegierung Preußens einen Keil zwischen eine Verständigung der beiden deutschen Großmächte treibe. Denn die Lage bedingte eine wenigstens äußerliche Aussöhnung und Verträglichkeit, um nicht neue Wirren in Deutschland heraufzubeschwören. Die preußische Demokratie erklomm den höchsten Gipfel ihrer widerspruchsvollen Charakterlosigkeit, indem sie eine platonische Liebe für Österreich heuchelte oder wirklich empfand, denn ihrer Unmündigkeit war auch dies noch zuzutrauen. Der erzkatholische slawisch-tyrannische damalige Donaustaat als Hort deutscher »Freiheit« wider die »preußischen Junker«! Man mußte sich durchaus gütlich mit Österreich verständigen, um

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