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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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schlaftrunken, vom Wein übernommen, Otto brachte ihn in seinen Wagen.
    Recht lehrreiche Aufschlüsse! Die Winke muß man sich zunutze machen. Politische Damen sind ein besonderes Entzücken. Welche Vorlesung beim Frühstück wohl heut Prinzeß Augusta hielt, gewürzt mit liberalen Zeitungsartikeln und Briefchen, wie Schleinitz sie täglich für diese Stunde sammelt! Mit den Damen hab ich kein Glück. Die Königin, mir einst so gewogen, hat mich fallen lassen als Antiösterreicher. Die eine für England, die andere für den schlimmsten Feind! O, simples Gretchen Germania!
    Unsäglich widerlich berührte den Gründer einer neuen natürlichen Diplomatenschule das Treiben der politischen Geheimpolizei, deren dunkle Ehrenmänner sich besonders auf nächtlichen Einbruchsdiebstahl diplomatischer Dokumente verstanden. Ein gewisser Töchen hatte sich hohen Ruf verschafft, indem er in die französische Gesandtschaft einbrach und dort Papiere kopierte. Einen so tüchtigen Mann konnte Manteuffel nicht unbeschäftigt lassen, der seinerseits sich auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege Einblick in eine Korrespondenz General Gerlachs mit dem König verschaffte.
    »Jetzt ist er bei Moustier bedienstet«, klärte Gerlach seinen Freund auf. »Der Agent Hassenkrug führte ihn dort ein.«
    »Also Landesverrat? Und das duldet der Polizeipräsident?«
    »Der zählt sich mit Stolz zum Kundenkreis des bewährten Spitzels. Neulich lief er zu mir mit Kopie eines Briefes von mir, worin sein werter Name vorkam. Hinckeldey habe sich nach Stolzenfels zum König begeben. »Wo der Adler ist, da sammelt sich das Aas.« Gott verzeihe mir, daß ich den Satz der heiligen Schrift vom Aas und den Raben so umkomponierte!«
    Otto lachte. »Und was antworteten Sie, als er Sie zur Rede stellte?«
    »Ich fragte, wieviel die Kopie ihn koste. Dreißig Taler? »Welche Verschwendung! Dafür hätt' ich Ihnen zehn solcher Briefe geschrieben!« Der Kerl zog ab wie ein begossener Pudel, von Reparation gekränkter Ehre murmelnd. Und ich gab ihm doch so hübsche Satisfaktion!« – –
    Die Untreue der Polizeiagenten bedrückte ihn so, daß er sich dem russischen Gesandten Budberg gegenüber ausklagte. »Wir können nicht Mittel anwenden, wie sie in Wien noch unter Kaunitz üblich waren. Der hat mal vier Agenten, weil er nicht herausfand, wer der Schuldige sei, allesamt in der Donau ersäufen lassen. Türkisch! Die Säcke im Bosporus, die seidene Schnur!«
    Der Russe lachte. »Was ihr Deutschen für Bedenklichkeiten habt! Ist jemand Ihnen ein Ärgernis, schicken Sie ihn auf Mission nach Rußland, dort werde ich dafür sorgen, daß er spurlos verschwindet.«
    »Was, auch ersäufen?«
    » Mais non, mon cher. Im Innern Rußlands verschwindet man leicht, und Sie werden ihn dann als anstelligen, geschickten Beamten der vierten Abteilung bei uns wieder auftauchen sehen.«
    Daher der Name Rußland. Trieb es Napoleons Geheimpolizei anders? Wir Deutschen bleiben Philister. Warum man einen Schuft nicht beseitigen soll, wissen die Götter. Die Deutschen aber wären umgekehrt fähig, einen Warren Hastings, der ihnen die beste Kolonie erwarb, wegen irgendeinem fragwürdigen Vergehen gegen abstrakte Moralgesetze zu ruinieren. Neid, Mißgunst, Parteiwirtschaft schlimmster Art hält der Deutsche für berechtigte Eigentümlichkeiten, seine Presse ist seiner würdig, geschwollene Redensarten und dahinter die niedrigste Gesinnung. Aber die Moral, o, die Moral! Have you got morals? Im Plural wohlbemerkt, als ob es nicht eine einzige und ewige Moral gäbe: Sei gerecht, kränke nicht böswillig deinen Nebenmenschen, diene deinem Vaterlande, also auch allen geistigen Potenzen darin, im übrigen geht deine Auslegung des konventionellen Moralkodex uns nichts an, das ist Privatsache. Die Deutschen halten sich für Idealisten, aber vom wahren Idealismus sind sie noch weit entfernt, und ihre ideale Presse, an der selbst die gewaltigste Welterschütterung nichts bessert, ist ihr Spiegelbild. Mit ihrem Instinkt für jeden Kitsch und jede geniale Begabung fuhr diese Presse fort, jeden läppischen Tagesschreier zu fördern und den Großen zu bespeien, wo sie konnte. Aber Otto kannte die Macht dieser teuflischen Anstalt für Herrschaft der Mittelmäßigkeit und des Schwindels. Sein wütender Haß gegen die sogenannte öffentliche Meinung der Zeitungskritiker, »die Macht der Ohnmächtigen« (Lamartine), machte ihn nicht blind für die bittere Notwendigkeit, mit diesem Gesindel zu paktieren, das

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