Bismarck 01
sich noch gar »ideale« Beweggründe unterschob. Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit, Ungerechtigkeit und Böswilligkeit regieren in Deutschland geradeso, wie in minder gebildeten Ländern. Der Deutsche trägt getrost nach Hause, was er Schwarz auf Weiß besitzt, für ihn bleibt sein Leibblatt das Delphische Orakel, und dabei windet er mit seiner Presse sich in Krämpfen, wenn die ausländische Presse eine Lügenkampagne gewissenlos durchführt. Daß die deutsche Presse unendliche Verbrechen beging, daß ihr lügenhaftes Schimpfen oder Totschweigen damals einem gewissen Bismarck und einem gewissen Richard Wagner das Leben verbitterte, daß sie endlos Eintagsfliegen unsterblich macht und wahren Unsterblichen das Messer an die Kehle setzte, das wird diese fade Heuchelei immer vergessen. Doch die immanente Gerechtigkeit der Dinge läßt ihrer nicht spotten.
Anfang März stürzten die Kreuzritter schreckensbleich in die Kammer, etwas Unerhörtes war geschehen, der Jakobiner Tod hatte vor dem Zaren aller Reußen nicht den geringsten Kotau gemacht und ihn in der Fülle seiner kraftstrotzenden Mannheit wegrasiert. Dieser kalte, jeder musischen Empfindung bare Barbar,der sich verächtlich abwendete, als ihm König Ludwig in München seine berühmten Künstler und Gelehrten als Leibgarde vorstellte, sollte eine Nationaltrauer in Deutschland haben. So verlangte der von reaktionärer Tollwut schon ganz übergeschnappte Ludwig v. Gerlach. »Unser Heiliger, unser Abgott!« Er entblödete sich nicht zu kreischen: »Dieser größte, edelste Herrscher muß von jedem Preußen wie ein leiblicher Vater betrauert werden!« Nämlich der brutale Demütiger Preußens in Warschau, der es in Ölmütz an die noch brutalere Vergewaltigung Österreichs auslieferte! Die Kreuzzeitung weinte laute Tränen, daß alle Rinnsteine des Seelenschmutzes überrannen. Zu solcher Selbstentehrung sank eine Partei herunter, die für Thron und Altar den allein waschechten Patriotismus pachtete und sich mit jeder nur möglichen Niedertracht im Erfinden hochnotpeinlicher Verschwörungsprozesse befleckte. Und das war die Partei, welcher der Bundestagskämpe und Vorkämpfer deutscher Nation auf verlorenem Posten sich eingegliedert hatte! – –
»Bismarck repräsentiert wie ein Millionär. Voriges Frühjahr gab er dem Prinzen Karl von Preußen, der sich in Baden-Baden amüsieren wollte und sich auf solche Chosen versteht, ein wahrhaft lukullisches Diner. Er studiert Brillat-Savarin, obschon er selber am liebsten blutige Beefsteaks verschlingt, wie seiner Statur angemessen«, ergoß der liebenswürdige Prokesch seine Klatsch-Registrierung vor seinen Satelliten. »Welch ein Haushalt! Da wird einem alles geboten, was auf Erden je gegessen oder getrunken werden kann. Großvater, Vater, Mutter und Kind essen, trinken, spielen Piano, schießen Pistolen, a tempo und zu jeder Tageszeit im gleichen Salon und Speisezimmer nach hinten hinaus. Wegen der Gartenaussicht natürlich, aber die freie Bewegung ist die Hauptsache, und man hört den Lärm so weniger. Jeder schmaucht ohne Unterlaß die feinsten Havannas, alle Achtung, eine splendide Marke, wohl von seinen republikanischen Freunden in Amerika! Ich hoffe, Frau v. Bismarck wird auch noch das Rauchen lernen.«
»Um sich von seinem Haushalt zu erholen, wo jeder tut, was er will, nimmt er ein Rundreisebillet an alle süddeutschen Höfe«, fiel Reinhard giftig ein. »Am 14. Dezember war er bei unserm Allergnädigsten in Stuttgart. Der preußische Gesandte Graf Seckendorf war aus dem Häuschen über den Sukzeß. Mit der Frau Kronprinzessin hat der Gast Whist gespielt, ein halber Kreuzer der Point, und sich wiederholt zur Ordnung rufen lassen müssen, weil er über die Stränge schlug. Doch die hohe Frau als Russin (Großfürstin Olga) fand das himmlisch harmlos. Am 16. Januar war er in München zur Tafel. (Seltene Auszeichnung für Diplomaten, wenn ihre Herren nicht dabei.) Da trank er drei Glas Bier, die Königin zwei. Er versteht's mit den Damen.« – –
Der Krieg nahm eine für Rußland ungünstige Wendung,wie es immer der Fall sein wird, wenn gute europäische Truppen mit diesen Halbasiaten zusammenstoßen. Der eifrige Montessuy und Sir Malet ersparten trotz ihrer persönlichen Freundschaft dem preußischen Gesandten nicht derbe Vorwürfe. Preußen sah sich in der frechen englischen und französischen Presse, deren Unwissenheit nur noch von ihrer Lügenhaftigkeit übertroffen wird, mit Schimpfworten bedroht,
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