Bismarck 01
dazu, und das hohe Protektorat im Westen würde uns dann gnädigst mit Landstrichen entschädigen, die wir erst noch mit dem Schwert gewinnen müßten. Sind wir etwa das Yorksche Korps, das gezwungen dem Gewalthaber folgte, oder ein indischer Vasall, der treu-gehorsam Englands Kriege mitmacht?«
Dem Thronfolger stieg die Röte ins Gesicht, und er stampfte leicht mit dem Absatz auf: »Von Vasall und Furcht ist keine Rede.« Er bezwang sich aber in würdiger Sammlung und sprach freundlich weiter. Es lag nicht in seiner wahrhaft vornehmen und unerschütterlich charaktervollen Art, gegen Leute loszufahren, die ihm scharf widersprachen, besonders nicht solche, die einmal fest in seinem Vertrauen saßen. –
Der König begann sogleich sein Steckenpferd zu reiten: »Ja, Bismarck, die Revolution! Sind wir mit Österreich uneins, so setzen wir alle Throne erneut dem Drachen aus, wie mein weiser Freund Leopold von Belgien mir damals ins Gewissen redete.«
»Im Gegenteil würde eine zu enge Einigung mit dem ultramontanen Österreich alle unruhigen Köpfe in Deutschland mit Wut erfüllen, und die franzosenfeindliche Stimmung in den Mittelstaaten würde zu der Behauptung umschlagen: Preußen verrate alle nationalen Interessen, das deutsche Volk müsse sich selber helfen.«
»Das hat Hand und Fuß«, sah der König ein. »Übrigens billige ich nicht Österreichs neue Winke auf Abtretung Bessarabiens. Rußland hat ja die Moldau-Walachei geräumt, zeigte also seinen guten Willen.«
»Gebietsabtretung würde es nur nach langem, unglücklichem Kriege gewähren und noch fiel nicht mal Sebastopol. So würde die Revolution Zeit und Gelegenheit gewinnen, überall ihr Haupt zu erheben.«
»Das leuchtet mir ein. Raten Sie also, Österreich abzuschütteln?«
»Nicht doch. Wir müssen seine Balkanpolitik scheinbar unterstützen, solange wir es dadurch abhalten, direkt die Waffen zu ergreifen. Rußland hat uns viel Unrecht getan, und unser Interesse mit dem seinen zu identifizieren wäre närrisch. Auch brauchen wir seine Hilfe nicht, um einen neuen revolutionären Ausbruch niederzuschlagen. Ich würde einen Krieg gegen Rußland gar nicht abraten, wenn dabei ein würdiger Siegespreis in Aussicht stände. Doch schon der Gedanke empört mich, daßwir uns in Gefahr und Not für dies Österreich stürzen sollen, für dessen Sünden gegen uns Euere Majestät so viel Nachsicht entwickeln, wie unser Herrgott sie einst hoffentlich meinen eigenen angedeihen läßt.« Das hieß kühn sprechen, doch dem König schmeichelte gewissermaßen der Vergleich mit dem höchsten Herrn im Himmel, vor dem auch ein allerhöchster Herr einst Revue passieren muß. Gewohnt, sich als Instrument des Himmels zu betrachten, gefiel er sich in der Rolle eines verzeihenden, aber gerechten Sündenrichters.
»Da haben Sie meine Intentionen richtig erkannt«, schloß er die Unterredung. »Wir werden von jeder prononcierten Gewaltpolitik abstehen.« Weil natürlich das Zuwarten und Nichthandeln bequemer ist.
*
Nach Neujahr 1855 kapitulierte Hessen. Auf einem Diner in Frankfurt näherte sich Minister Dalwigk in sehr unterwürfiger Haltung dem grimmen Preußen: »Wie befinden sich Euer Exzellenz? Wie tief beklage ich das Erkalten unserer einst so herzlichen Beziehungen! Mein hoher Herr möchte jeden Stein des Anstoßes aus dem Wege räumen.«
»Freut mich. Dann würde wohl ein Handschreiben nach Berlin am Platze sein.«
»Soll geschehen. Achtzehn Monate dauert nun der unerfreuliche Zwist.«
»Nicht durch unsere Schuld, Herr Minister.« Otto blieb steif und kühl, der Mann mußte erst gründlich die Suppe ausessen.
»Mein Gott, ich gestehe, ich war zu schroff, mag ich Herrn v. Canitz, den ich so sehr hochschätze, mißverstanden haben.« Otto schwieg immer noch. »Soll ich denn laut pater peccavi singen? Wenn nichts anderes Sie befriedigt, nun denn, ich war schuld und bitte Sie persönlich um Entschuldigung.«
»Ich danke Ihnen. Doch ich hatte hier nur ein Amt und keine Meinung. Persönliches scheidet bei mir dienstlich ganz aus. Mir kann daher nur Satisfaktion geben, daß Ihre politische Richtung sich ändert und Sie Preußen Gerechtigkeit widerfahren lassen.«
»O, Sie tun mir unrecht! Ich verehre Preußen,« log Dalwigk, »meine künftige Haltung wird Sie darüber belehren. Übrigens,« er dämpfte vertraulich die Stimme, »würdigt mein erlauchter Gebieter Ihre unsterblichen Verdienste in dieser großen Staatssache und verleiht Ihnen das Großkreuz seines hohen
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