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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Childe-Harold-Fieber der Byronzeit erlosch noch nicht. In Indien kann man sich die schlimmen Afghanen besehen und ehrlichen Kriegertod finden. Doch als er sich ausrüstete, erhielt er den tränenfeuchten Brief des Vaters. »Ich bin jetzt 73 Jahre alt, ein armer, tauber Witwer, muß Dich vor meinem letzten Stündlein wiedersehen und befehle es Dir an.« Da blieb keine Wahl. Der Alte starb aber nicht, Otto mußte ihm sein Siechtum erleichtern, mit dem er sich 14 Monate quälte. Meist saß er auf einem kleinen Sofa, wo vor ihm die Laubkronen der Parkwipfel im Winde schwankten, und schaute zu einem Grab hinüber an der äußersten Ecke. »Der ging mir voraus!« Ein Vetter, Hauptmann Bismarck, angelte dort stets zur Sommerszeit am Ufer des Parkgrabens, wo jenseits Felder von Mais und Runkelrüben sich freundlich dehnten. Nun lag er begraben auf seinem Lieblingsplatz, den ein Kreuz aus Gußeisen bezeichnete. »Ihm ist wohl«, sann Otto manchmal, an das Kreuz gelehnt. »Ewiger Schlaf oder die Sprache einer anderen Welt.«
    Die Schönhauser Bauern tuschelten bedenklich: »Unser Junker liest Tag und Nacht in sechs Zoll dicken Büchern, er will Zauberer werden.« Als er beim Lesen einmal einnickte, fuhr er plötzlich empor, vernahm leise Schritte, und sein Gast v. Dewitz rief aus dem Nebenzimmer laut und ängstlich: »Wer da?« Die Uhr schlug Mitternacht und niemand war da. Otto starrte auf die dreiRisse in der Bibliothektür, die von französischen Bajonetten herrührten. Hier brachen einst freche Voltigeurs ein, um Ottos Mutter zu erhaschen, die sich in den Wald flüchtete. Dachte er daran, stieg ihm immer Zornröte ins Gesicht. Suchte ihn heut ein Ahne heim, ihn zu erinnern, daß aller Schimpf des Auslandes wider Frau Germanias Ehre noch ungesühnt? Was wollte ein Geist der Vorzeit von ihm, dem nichtssagenden Nachfahren! Weh dir, daß du ein Enkel bist! Draußen im Dorf der Gasthof hieß »Zum Deutschen Hause«, doch wann ersteht ein Haus für alle Deutschen, wetterfest gezimmert!
    Fern aus der öden Stille hörte er den greisen Vater husten. Seine Kindheit zog an ihm vorüber. Im Sommer blieben die Eltern auf dem Lande, die Kinder allein in der Berliner Wohnung, Behrenstrahe 32 und 39, später Dönhoffsplatz, wo die Leipziger Straße mündet. Ihr leibliches Wohl überwachte die treue Trine Neumann, verschiedene Erzieher erteilten den Zöglingen Bernhard und Otto des Friedrich-Wilhelmgymnasiums Nachhilfestunden. Der Kammergerichtsreferendar Hagens glich im Gesichtsschnitt Napoleon, man munkelte, seine Mutter sei eine Marquise aus dem Elsaß gewesen. Der Genfer Gollot brachte Otto gutes Französisch bei. Der Philologe Winckelmann aus der Familie des Archäologen, dessen Standbild in Stendal an altmärkische Abkunft gemahnte, flößte ihm eine Vorliebe für die Antike ein, bis dies Verlöbnis des Goetheschen Faust mit der schönen Helena jählings abbrach, weil der Philologe das Land der Griechen mit der Seele suchte und mit der Wirtschaftskasse durchbrannte. Dann kam Otto in Pension nach der Königstraße zu Professor Prévost und bezog das Graue Kloster. Seine Konfirmation in der Dreifaltigkeitskirche ließ ihn kalt, die Entfernung vom Elternhause machte ihn teils selbständig, teils unsicher. Man verzog ihn sonst, die mütterliche Strenge hinderte nicht, daß der Vater und die Kammerzofe Lotte Schmeling ihn mit übertriebener Zärtlichkeit überhäuften. Wartete er am Nebentisch auf sein Süppchen, so rief der Alte seiner Frau vor den Gästen zu: »Schau, Minchen, wie der Junge mit de Beenekens strampelt!« als vollführe der Stammhalter damit eine Großtat. Kleine Züge aus der Kindheit fielen dem Sinnenden ein. Maßlose Abhärtungsmethode der Plamanschen Pension, wo man sich im Hungern und Frieren übte, machte ihn zeitlebens auch der Turnerei abgeneigt. Der gepredigte Franzosenhaß und Deutschenstolz paarten sich mit grober demokratischer Verachtung des Adels, den man seit »Jena« für alles Übel verantwortlich machte. Lehrer und Schüler betrachteten den kleinen Junker mit mißgünstigen Augen, als habe er »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« mitverschuldet. Und doch waren Bismarcks immer Volksfreunde gewesen. Oberst August, bei Czaslau als Held gefallen, zog in seiner Garnison Gollnow mit Offizieren und Musik zur Ihnabrücke, wo der Holzesel stand, ein Strafinstrument für die Gemeinen,und ließ ihn ins Wasser stürzen. »Allen Sündern soll vergeben und der Esel nicht mehr sein!« Dieser Nimrod, der im Jahre

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