Bismarck 01
ausgespielt sei, wie die von der Infanterie behaupteten. Als er aber seinem alten Herrn mit der Absicht herausrückte, aktiv einzutreten, riet ihm der sorgliche Vater dringend ab. Das sei Fahnenflucht, die Güter im Stich zu lassen, kaum daß wieder etwas Schwung in die Bewirtschaftung kam. Auch erinnerte er ihn daran, beim Andenken der seligen Mutter, daß man von ihm immer noch Ausnutzung seiner Geisteskräfte erwarte, die im Soldatenlager weggeworfen seien. »Versuch's doch noch einmal mit dem Staatsdienst, wenn du denn schon die Landwirtschaft satt hast. Mach' dein Assessorexamen, dann wird's schon gehen wie geschmiert!«
Den Rittersitz Kniephof umgaben Wiesen, Gehölze, Karpfenteiche, das Flüßchen Zampol floß unfern vorbei. Der schmucklos einfache Fachwerkbau prunkte nicht mit malerischen Reizen, den reichen Wildstand hatte zu eifriges Weidwerk gelichtet. Pistolenschüsse in den Schlafzimmern abgerechnet, vor denen der Kalk bröckelnd auf die Langschläfer fiel, wußte Otto es seinen Gästen behaglich zu machen. Doch später verbreiteten manche lustigen Gesellen, daß im Kneiphof – so taufte der Volkswitz den Ort – die Welt einziehe, wo man sich langweilt. Der Wirt zettele plötzlich ernste politische Gespräche an nebst den Rädelsführern Dewitz-Maserow und Bülow-Hoffelde. »Scheußlich liberal is er auch, hat die bekannte Premierleutnants-Melancholie. Hol' mich dieser und jener, man mopst sich sträflich«, gestand Gutsnachbar von Knobelsdorf. Als ihm in Schönhausen Korn verhagelte und Bäume abstarben, verleugnete Otto sogar den Bacchus, hustete und unterschrieb sich an Malwine »Dein schwindsüchtiger Bruder!« Nichtsdestoweniger blieb er aufs Reiten so versessen, daß er mal zu einer Abendgesellschaft in Polzien sieben Meilen zu Pferd durchmaß und Reisen im Wagen für größere Strecken verschmähte. Deshalb machte er freiwillig Dienstübungen der 4. Pommerschen Ulanen mit, geriet aber mit dem Regimentskommandeur v. Plehwe in Zwist. Dieser schurigelte den vertrackten Landwehrleutnant eklig und beschied ihn häufig zum Wirtshaus »Goldener Mops«, einen Rendezvousplatz zwischen Treptow und Greiffenberg, den Garnisonstädten der Ulanen, um ihm den Kopf zuwaschen. Der Freiwillige trieb es freilich arg in den Freistunden. »Der Bürgermeister von Treptow, ein so umgänglicher Mann, klagt mir sein Leid über Ihre Unsitte. Sie setzten sich auf die Bank vor dessen Haus und rauchen wie ein Schlot.« »Herr Oberst gestatten die gehorsamste Motivierung, daß der Herr, weil er den Tabak haßt, uns Offizieren das Rauchen auf der Straße verbieten will. Nun gut, dann lassen wir uns gehorsam auf seine Hofbank nieder, dem Wanderer zur kühlen Rast bereitet.« »Ich verbitte mir Poesie im königlichen Dienst, Wilhelm Tell steht nicht bei den Ulanen. Der Herr bedeutete Sie, sein Haus sei kein Gasthof. Sie haben einem hohen Magistrat Gehorsam verweigert.« »Zivilisten habe ich nicht zu gehorchen.« »Dann mir! Die Tabaksblockade ist aufgehoben und, wer zuwiderhandelt, mit Arrest bestraft.« Sofort meldete sich Herr v. Bismarck in Zivil ab, warf dem Oberst einige liebenswürdige Grobheiten ins Gesicht und schritt spornklirrend von dannen, der militärischen Machtsphäre entrückt. Noch lange zitierte ihn General v. Plehwe als Beispiel eines übermütigen stockpommerschen Erzjunkers, gleich verdorben für die Armee wie für jedes Zivilamt.
Frau Marie v. Blanckenburg, geb. Thadden-Trieglaff, vereinte reine Frömmigkeit mit feiner Bildung und fraulichem Verstand. Sie erfaßte den berüchtigten Kniephofer richtiger als andere Damen und hielt ihm die Stange, bemühte sich die Jugendfreundschaft ihres Moritz mit Otto zu vertiefen. So lebhaft ihn die Güte der edlen Hausfrau ansprach, wollte aber ein näheres Verhältnis zu Blanckenburgs gottesfürchtigem Bibelchristentum nicht in Fluß kommen. Am zweiten Weihnachtstag 1844 fand er zu Cardemin im roten Zimmer unter der roten Ampel einen strammen Herrn in Uniform sitzen, dessen bärbeißiges Gesicht mit buschigem Schnurrbart, massivem Kinn und scharfen Falkenaugen ihm gefiel.
»Hauptmann v. Roon!« Das war ein sehr gelehrter Offizier, Schüler des Geographen Ritter, daher später Ehrendoktor der Universität Halle. Dieser ausgezeichnete Generalstäbler sprach klar und bedächtig über die Schäden der Zeit. Der Armee tue eine Reform an Haupt und Gliedern not. Sein kluger Blick musterte den langen Junker, von dem er schon viel hörte, mit durchdringendem Verständnis.
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