Bismarck 01
Eigenkultur. Wäre nur nicht die verdammte politische Schwäche! Nur hierin brauchen wir Stärkung, nicht aber ein Aufsaugen des Ganzen durch Zentralgewalt.
Im Strudel des Pariser Lebens, als einfacher Tourist wie ein unbeachtetes Bläschen untertauchend, gewann er den nachhaltigsten Eindruck im Dom der Invaliden. Vor Napoleons Sarkophag, den nur die goldenen Schlachtennamen umkränzen, vergegenwärtigte er sich die letzte Stunde, als ein Orkan die Weiden von St. Helena knickte und er sein großes Leben sah im letzten Fieberwahn. Was aber war sein letztes Wort? Stört es nicht der Nachwelt sein großes Sterben? Der Prometheus am Fels im Weltmeer, kannte er nur dies Wort, mit dem er verröchelte: »An der Spitze der Armee!«? Er, der die Welt im Schädel trug, war nur ein Tamerlan, der Schädelpyramiden baute und Schlachtenrosen pflanzte und auf goldenem Sessel sich von Knechtgewürm umschranzen ließ? Diese prahlenden Namen auf seinem Steinsarg: Austerlitz, Jena e tutti quanti , wie schal ist dieser Nachruhm! Darum verlohnte sich's, den Erdball zu erschüttern? Doch freilich, die Menschlein beißen auf Stein, wenn sie an ihm die Zähne wetzen, sein Richter bleibt einzig das Weltgesetz der unerforschlichen Mächte. Vielleicht lallte er tieferen Sinn mit seinem letzten Odem, ein Feldherr an der Spitze, die Menschheit die Armee.
Doch wozu gerecht sein wollen wie Gott! Wir Deutschen und wir Preußen sollen ihn hassen übers Grab hinaus und Krieg führen mit seiner Erbschaft und dem Geiste von Louis Quatorze,den diese Demütiger Deutschlands dem eitlen Gloirevolk vererbten. Als man den Leichnam von der Insel abholte, wo er unversehrt wie im Leben in der Steingrotte schlief, rief hier der Premierminister in der Kammer: »Ja, er war unser legitimster Kaiser und König.« Das war er, das legitimste Sinnbild gallischer Überhebung, der korsische Parvenü. Den sogenannten Prinzen Louis Napoleon haben sie geächtet, aber wer weiß, ob das Erbteil seines Namens nicht noch reiche Zinsen trägt! Diese Nation kann nicht Ruhe halten, sich nicht bescheiden. Dieser Bürgerkönig Louis Philipp mit seinem legendären Regenschirm ist nichts für die Gloiresucht. Schon holt sich die Armee in Algier billige Lorbeeren. Aufgepaßt, sie kommen wieder, die munteren Französchen, und zupfen den Vater Rhein am Bart. Ich traue diesem 30 jährigen Frieden nicht. Wir werden noch was erleben. Ich mag dann als simpler Landwehrrittmeister die Plempe ziehen, und die Reise nach Amerika bleibt mir kaum erspart, denn die Wette mit Coffin verliere ich. Schon zwölf Jahre sind verflossen, nur acht noch ausständig, bis dahin ändert sich nichts.
– – Als er in Hull ans Land stieg, fühlte er gleichsam ein germanisches Verwandtschaftsgefühl auf englischem Boden. Fröhlich schlenderte er, die Hände in den Hosentaschen, vom Hafen herein und pfiff einen Berliner Gassenhauer. Allsogleich erscholl eine feierliche Stimme, ein ältlicher Gentleman trat ihm in den Weg: »Sir, Sie sind Ausländer, das entschuldigt Sie. Heut ist Sonntag, der Tag des Herrn, der Sabbat wird in diesem Land geheiligt.«
»Wie? Ich verstehe nicht. Man wird doch pfeifen dürfen.«
»Keineswegs. Das ist weltlich sündige Frolic. Nur heilige Musik ist gestattet. Ich bitte Sie, solches Geräusch zu unterlassen. Sonst müßte ich Sie dem Konstabler anzeigen, der schon aufmerksam wird.«
Mit einem derben Fluch wandte sich Otto ab. Da hört denn doch verschiedenes auf! Diese wahrhaft scheußliche Tyrannei ist wohl britische Freiheit? Haha, ich rate unseren Demokraten, dies gelobte Land kennen zu lernen. – Überall in der Stadt fand er gähnende Öde und bleierne Langeweile. Alle öffentlichen Lokale geschlossen, nur Trupps von geputzten Kirchgängern umhertrottend. Und dabei wett' ich, dachte der Ankömmling mit seinem realistischen Scharfsinn, daß diese biederen Pharisäer hinter ihren Mauern ohne Zeugen sich geistliche Stärkung durch geistige Getränke verschaffen und so in den Montag hinüberschnarchen. Wieviel netter und sauberer sieht es bei uns in der Umgebung Berlins aus, wenn die Leute in ihren Sonntagskleidern im Freien wandern und sich heiter amüsieren! Die englischen Krämer sind sicher nicht bessere Christen als wir, dies scheinheilige Gebaren ist bloße Gewohnheit, durch die Puritaner erzwungen. Damals hatte solche Strenge einen bestimmten Sinn, das liederliche »lustige Altengland« sollte nicht ohne Grund gemaßregelt werden,später aber und gar erst in unseren
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